Lexikon der Religionen:

Anatman

Das Konzept vom „Nicht-Selbst“ im Buddhismus

Die buddhistische Anatman-Lehre, die Lehre vom „Nicht-Selbst“ oder auch „Nicht-Ich“, besagt, dass es kein permanentes Selbst, keinen unveränderlichen Wesenskern und keine unsterbliche Seele gibt. Anatman ist eines der Drei Daseinsmerkmale.

Was der Mensch gewöhnlich als permanentes „Ich“ erfährt, beschreibt Buddha als ein Zusammentreffen der fünf Skandhas, aus denen sich der Mensch zusammensetzt. In der Literatur werden sie häufig übersetzt als „Aggregate“, „Daseinsgruppen“ oder „Gruppen der Anhaftung“. Jedes dieser Skandhas verändert sich ununterbrochen.

Die fünf Skandhas

  • Form
  • Gefühle
  • Wahrnehmungen
  • Mentale Formationen
  • Bewusstsein

Das ist leicht zu beobachten: Gedanken verändern sich, emotionale Reaktionen tauchen auf und vergehen wieder. Auch Dinge haben gemäß dieser Lehre kein eigenständiges, dauerhaftes Selbst, da sie durch „bedingtes Entstehen“ (Pratityasammutpada), das heißt aufgrund einer Vielzahl von Ursachen und Bedingungen, entstanden sind.

Leiden kommt und geht mit Anhaften

Leiden entsteht, weil die Menschen an den sich stets verändernden Skandhas anhaften und so ein unveränderliches „Ich“ konstruieren. Die erste der Vier Edlen Wahrheiten („Das Leben ist leidvoll bzw. unbefriedigend“) handelt davon. Etwas Unveränderliches kann es jedoch nach Buddhas Beobachtungen und Lehren nicht geben.

Die Anatman-Lehre ist nicht nur ein theoretisches Konzept. Vielmehr soll sie dazu inspirieren, das Leben mit einer spirituellen Praxis zu bereichern. Praktizierende Buddhistinnen und Buddhisten üben sich darin, die vergängliche Natur aller Erscheinungen zu erkennen. Mit der Zeit gelangt man im besten Fall zur Erfahrung seiner Erfahrung und zur tiefen Einsicht in die Wirklichkeit, wie sie ist. Alle Vor-Stellungen vor die Wirklichkeit (vor allem „ich“, „mein“, „mich“) werden losgelassen. Die Identifikation mit den Skandhas erlischt, Leiden (Duhkha) endet.

Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es, doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen Wanderer sieht man da.
Visuddhi Magga XVI

Wiedergeburt ohne Seele

Buddha lehnte mit der Anatman-Lehre die Hindu-Lehren zur Existenz einer Seele (Atman) und einer Weltseele (Brahman) ab. Als Sozialreformer kritisierte er auch die Seelenvorstellung der Jaina, einer anderen religiösen Strömung seiner Zeit. Die Anatman-Lehre hat Folgen für die buddhistische Wiedergeburtsvorstellung. Was wird wiedergeboren, wenn es keine Seele gibt? Es sind die Taten der Menschen, die zu karmischen Impulsen führen, die wiederum danach streben, sich wieder zu verkörpern.

Wir können uns diesen Vorgang ähnlich vorstellen wie jenen, bei der Flamme einer Kerze kurz vor dem Erlöschen auf eine neue Kerze übertragen wird: Die Kerzen (Existenzen) sind verschieden, die Flamme (Taten/Karma) brennt weiter.

Übersichtsartikel zum Buddhismus

Siehe dazu auch im ORF-Religionslexikon: