Lexikon der Religionen:

Heiligenverehrung

Christliche Verehrung von heiligmäßigen Menschen

Ursprung der Heiligenverehrung ist die Würdigung der Märtyrer, an deren Gräbern die Christen der ersten Jahrhunderte Gottesdienste feierten. Seit dem 4. Jahrhundert nach der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion wurde die Heiligenverehrung auf Bischöfe und Mönche ausgedehnt, die sich durch ein besonders glaubenstreues Leben ausgezeichnet hatten. Ihre Lebensbeschreibungen wurden mehr und mehr mit Legenden und Wundergeschichten ausgeschmückt. Schließlich entstanden Heilgenkalender, in denen jeder Tag des Jahres dem Gedenken eines Heiligen zugeordnet ist.

Heiligsprechungen seit dem zehnten Jahrhundert

Was zuerst spontane Verehrung war, wurde allmählich zu einem Vorrecht zuerst der Bischöfe, dann des Papstes. Die erste päpstliche Heiligsprechung geschah 993 durch Papst Johannes XV. und betraf Bischof Ulrich von Augsburg (gest. 973). Seit Papst Innozenz III. (gest. 1216) behalten sich die Päpste Heiligsprechungen vor. Das gilt auch als Kontrolle der Volksfrömmigkeit, weil eine öffentliche Verehrung in der römischen Kirche nur nach einer Heiligsprechung (Kanonisierung) erlaubt ist.

Aufschwung der Reliquienverehrung

Damit im Zusammenhang steht auch die Reliquienverehrung. Die zunächst private Verehrung der sterblichen Reste von Märtyrern weitete sich aus. Im Mittelalter wurde jede Kirche mit Reliquien ausgestattet, nicht zuletzt um Wallfahrten zu intensivieren. Der große Bedarf regte einen schwunghaften Reliquienhandel an, und Reliquien gehörten auch zur Beute von Überfällen und Feldzügen. Die Anhäufung von Reliquien wurde als besonderer Schutz empfunden.

Kurfürst Friedrich der Weise, der Martin Luther vor der Reichacht geschützt hatte, verfügte selbst über einen Schatz von über 19.000 Reliquien. Da die Verehrung der Reliquien mit Ablässen verbunden war, ergaben sich daraus Ablässe von zwei Millionen Jahren. An solchen Beispielen wird deutlich, wie Verehrung allmählich in Aberglauben kippen konnte. Martin Luther hatte also unmittelbar vor Augen, was er später ablehnte.

Heiligsprechung bedeutet, dass die kanonisierte Person wegen ihres gottgefälligen Lebens mit Gewissheit in den Himmel aufgenommen wurde und daher verehrt werden darf - mehr dazu im Eintrag Gnade. Heute ist die erste Stufe zur Heiligsprechung die Seligsprechung, die in einem mehrstufigen Prozess auch den Nachweis von Wundern benötigt, die auf die Fürsprache des Kandidaten hin erfolgt sind. Die orthodoxen Kirchen pflegen ebenfalls die Heiligenverehrung, Heiligsprechungen erfolgen autonom in den einzelnen nationalen Kirchen und gelten nur für ihren Bereich.

Reformierte Kirchen lehnen Heiligenverehrung ab

Die Kirchen der Reformation lehnen Heiligen- und Reliquienverehrung sowie Heiligsprechungen ab, sehen aber in bedeutenden Christen und Christinnen Vorbilder des Glaubens. Dagegen argumentierte das Konzil von Trient mit der alten Vorstellung von Fürsprache durch Märtyrer und Heilige, die schon aus frühester Zeit belegt ist. In Rom wurde noch 1969 eine eigene „Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen“ eingerichtet.

Heiligsprechungen in ihrer für die römische Kirche typischen juridischen Ausformung stoßen heute auch unter Katholiken auf wenig Verständnis; insbesondere die Beglaubigung von Wundern ist umstritten. Da ein Heiligsprechungsprozess teuer ist, sind finanzielle Interessen für gewünschte Selig- und Heiligsprechungen bis in die Gegenwart auch eine Frage der aufzubringenden Kosten.

Übersichtsartikel zum Christentum

Siehe dazu auch im ORF-Religionslexikon:

ORF-TVthek-Medienarchiv Christentum: