Lexikon der Religionen:

Spiritualität

Innere Ausrichtung des Herzens für ein christliches Leben

Spiritualität ist heute ein Wort, das inflationär gebraucht wird. Im Zusammenhang mit dem Christentum ist darunter immer die innere Ausrichtung des Herzens und geistliche Begründung für ein christliches Leben verstanden worden.

Spiritualität bald Sache der Orden

Die Ermahnungen in den Briefen des Apostels Paulus sind erste Beispiele dafür. Denn es ist durchaus möglich, dass diese innere Ausrichtung verloren geht, wenn das Christentum zu einer allgemeinen kulturellen Selbstverständlichkeit geworden ist. Das war zweifellos mit der Anerkennung und „Verstaatlichung“ der christlichen Religion ab dem 4. Jahrhundert der Fall.

Daher wurde Spiritualität folgerichtig zunächst eine Sache der Orden, in die sich ein ernsthaftes und überzeugtes christliches Leben zurückgezogen hatte. Die Ordensregeln, angefangen von der Regel des heiligen Benedikt spiegeln die Spiritualität christlichen Lebens und zeigen zugleich ihre Variationsbreite: Jeder Orden, geprägt von seiner Aufgabe in der Gründungszeit, ist einer anderen Spiritualität verpflichtet; alle zielen aber auf die Verwirklichung der Vorgaben des Evangeliums ab und versuchen, eine Beziehung zu Jesus Christus aufzubauen.

Zwischen Anfang und Ende der Endzeit ...

Der christliche Glaube daran, dass mit Tod und Auferstehung Jesu Christus die letzte Phase der Geschichte bereits begonnen hat, unterscheidet das Christentum vom Judentum und führt zu einer Radikalisierung. Denn ein Christ lebt nicht nur zwischen Schöpfung und Endgericht, sondern auch zwischen dem Beginn und dem Ende der Endzeit, was ein Lebensgefühl der noch größeren Geschwindigkeit der Geschichte zur Folge hat und die Verantwortung als Mitspieler nahe dem Höhepunkt des Dramas dringlicher macht. Man muss sich dies vor Augen halten, um die oft fremd anmutenden Frömmigkeits- und Lebensformen der christlichen Geschichte zu verstehen.

In Gebeten, Gottesdiensten, Feiern und Bräuchen äußert sich die christliche Gottesbeziehung sehr häufig widersprüchlich, paradox oder übertreibend, weil sie zugleich den allmächtigen und den mitleidenden, den ewigen und sterbenden, den erhabenen und den brüderlichen Gott meint. Was Menschen ersehnen, aber nicht leisten können, nimmt ihnen – nach christlicher Überzeugung – Gott höchstselbst ab, nämlich Ewigkeit und Endlichkeit miteinander zu verknüpfen.

Exerzitien , Einkehrtage und „Cursillo“

Lange genügte die Predigt, um auch den Laien christliche Spiritualität zu vermitteln. Nicht zufällig in Zeiten der Angefochtenheit der römischen Kirche durch die Reformation versuchte Ignatius von Loyola seine eigenen geistlichen Erfahrungen anderen zugänglich zu machen. Er entwarf geistliche Übungen (Exerzitien; lateinische Ausgabe 1541), die unter Gebet und Betrachtung der Evangelien bis zu vier Wochen im Schweigen verbracht werden.

Exerzitien werden heute in verschiedenen Längen und Varianten nicht nur von Jesuiten angeboten. Auch die anderen Orden (Benediktiner, Franziskaner usw.) halten geistliche Übungen ab. Ihre kleinste Einheit sind „Einkehrtage“, die für Pfarrgemeinden oder Berufsgruppen nicht nur von Orden, sondern auch von den Diözesen organisiert werden.

Eine junge Form ist der dreitägige „Cursillo“, entstanden 1949 auf Mallorca aus der Initiative von Laien (allen voran Eduardo Bonnín Aguiló, 1917 bis 2008), in dem eine intensive Begegnung mit dem Evangelium auf die Veränderung des Lebens zielt. Einkehrtage für unterschiedliche Gruppen kennen auch die evangelischen Kirchen; sie werden von Gemeinden oder Gemeinschaften veranstaltet, die sich einem Leben im intensiven Gebet widmen.

Junge Spiritualität und gelebte Ökumene in Taizé

Eine Besonderheit mit starker spiritueller Ausstrahlung ist die „Communauté de Taizé“ in Frankreich, ein ökumenischer Männerorden, den der evangelische Theologe Roger Schütz (1915 - 2005) gegen Ende des Zweiten Weitkriegs gründete. Aus einer evangelischen Gemeinschaft wurde eine ökumenische, nachdem sich auch katholische Brüder angeschlossen hatten. 1970 rief Frère Roger, von Anfang an Prior der Gemeinschaft, das „Konzil der Jugend“ aus. Große Jugendtreffen in verschiedenen europäischen Städten und ein reger Zustrom von Jugendlichen nach Taizé bezeugen die Wirksamkeit und Ausstrahlung einer glaubwürdigen christlichen Spiritualität.

Übersichtsartikel zum Christentum

Siehe dazu auch im ORF-Religionslexikon:

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