Lexikon der Religionen:

Toleranz

Duldung verschiedener Religionen und Weltanschauungen

Der Begriff Toleranz bezieht sich vornehmlich auf die Duldung verschiedener Religionen und Weltanschauungen. Wo eine Gesellschaft oder ein Staatswesen eine einheitliche Religion zur Identitätsstiftung braucht, gilt Toleranz nur in Ausnahmefällen: Das antike heidnische römische Imperium tolerierte die Religionen und Riten unterworfener Völker, sofern die Anerkennung des Kaisers dadurch nicht beeinträchtigt war. Das christliche Mittelalter tolerierte grundsätzlich die Juden, wenn auch mit eingeschränkten Rechten; diese Duldung schütze sie aber oft nicht vor Übergriffen.

Vergleichsweises gilt für Länder unter muslimischer Herrschaft. Die Schriftbesitzer (Juden und Christen) wurden toleriert, hatten aber nicht den gleichen Status wie muslimische Bürger und mussten eine Sondersteuer zahlen; auch hier hat es je nach politischer Lage Übergriffe auf Juden und Christen gegeben.

Joseph II. „gegen Schädlichkeit des Gewissenszwangs“

In Europa wurden erste Ansätze zur Toleranz dadurch erzwungen, dass es durch die Reformation im Deutschen Reich zu einem katholischen und einen evangelischen Block an Fürstentümern kam; um die Einheit des Reichs zu wahren, mussten Territorien verschiedener Konfession geduldet werden, innerhalb einzelner Herrschaftsbereiche war aber weiterhin nur eine Glaubensrichtung erlaubt.

Erst die Aufklärung ging einen Schritt weiter: Gegen Ende des 17. Jahrhunderts veröffentliche der englische Philosoph John Locke „Briefe über die Toleranz“ (1667 bis 1692). Im 18. Jahrhundert trat Voltaire für die Toleranz ein, und Lessings Drama „Nathan der Weise“ (1779) dramatisierte den Gedanken. In Österreich erließ Kaiser Joseph II. das Toleranzpatent von 1781 (für die Juden 1782), um der „Schädlichkeit allen Gewissenzwanges“ entgegenzuwirken. Die Tolerierten durften ihre Religion praktizieren, aber nicht öffentlich, und die Gebetshäuser durften nicht von außen als solche erkennbar sein.

Toleranz ist nicht Religionsfreiheit

An dieser Geschichte lässt sich erkennen, dass sich Toleranz von Religionsfreiheit deutlich unterscheidet. „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen“, schreibt Goethe in seinen „Maximen und Reflexionen“. Die USA, in die viele wegen ihrer religiösen Überzeugung in Europa Verfolgte ausgewandert sind, hat bereits in ihren ersten Verfassungen (1787, 1791) die Religionsfreiheit festgeschrieben. In Europa war der Weg von der Toleranz zur Gleichstellung länger und mehrfach unterbrochen.

Staatsgrundgesetz garantiert Religionsfreiheit

Volle Religionsfreiheit brachte in Österreich erst das Staatsgrundgesetz von 1867. Das führte 1912 auch zur Anerkennung des Islam, nachdem die Österreichisch-ungarische Monarchie Bosnien und die Herzegowina mit einer mehrheitlich muslimischer Bevölkerung annektiert hatte.

Diktaturen in Russland und Deutschland setzten die Religionsfreiheit insofern wieder außer Kraft, als sich deren Ideologien – Kommunismus und Nationalsozialismus – selbst als einzig mögliche Weltanschauung verstanden, die religiöse Züge trägt. Heute hat der religionsneutrale Staat keine Kompetenz zur Beurteilung von Religionen, muss aber darauf achten, dass jede Religion und Weltanschauungsgruppe die Regeln der Verfassung beachtet.

Übersichtsartikel zum Christentum

Siehe dazu auch im ORF-Religionslexikon: