Heiße Eislutscher

Jede Familie hat so ihre eigenen Regeln. In meiner Kindheit gab es eine ganz besondere für den Sommer: Pro Woche bekommst du einmal Eis vom Italiener. Nicht öfter. Die Kugel hat damals einen Schilling gekostet.

Zwischenruf 13.8.2017 zum Nachhören:

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Als meine Kinder klein waren, gab es diese Regel auch. Allerdings in entschärfter Form. Sie lautete: Eis gibt es höchstens jeden zweiten Tag. Die Kinder haben in der heißen Zeit genau Buch geführt über ihren Eiskonsum, um mich daran zu erinnern, dass wieder ein Schlecker fällig ist.

Christine Hubka
ist pensionierte evangelische Pfarrerin und Gefängnisseelsorgerin

Dürre am Horn von Afrika

Offenbar ist das kühle Eis an heißen Sommertagen nicht nur für Kinder wichtig. Sonst hätte es ein Engpass bei Speiseeis nicht in die Nachrichten und in die Zeitungen geschafft. Als Zeitungsleserin und Nachrichtenhörerin kann ich auf so eine Meldung verschieden reagieren: Ich kann sie als Zeichen hinnehmen dafür, dass es im Sommer halt sonst nichts Bedeutsames zu melden gibt. Ich kann mich kräftig darüber ärgern. Was ich auch getan habe. Denn sofort war da die Frage in mir: Wie hören das hier Leute, die es sich nie leisten können, ihren Kindern das teure Eis zu kaufen?

Mein Ärger wuchs, als in den Nachrichten auch noch von der katastrophalen Dürre am Horn von Afrika berichtet wurde. Denn obwohl es bei uns fürchterlich heiß war in der letzten Zeit, haben wir genug Wasser. Nicht nur zum Trinken. Auch in den Schwimmbädern. Anders als in früheren Hitzeperioden ist Autowaschen und Gartengießen nicht verboten.

„Puppen-Probleme“

Am Horn von Afrika vertrocknen jetzt gerade Felder in der Dürre. Sauberes Trinkwasser gibt es nur noch rationiert. Von Baden oder Duschen kann keine Rede sein. Ich habe Bilder von elend dünnen Kindern gesehen. Ihre Mütter und Väter haben schwach und krank ausgesehen. Das betrifft nicht einige wenige. Die Millionen Menschen, um die es sich handelt, kann ich mir gar nicht vorstellen.

Gut vorstellen kann ich mir hingegen Argumente, die jetzt flink daher kommen: „Wir können nicht Millionen Menschen vor dem Verdursten retten.“ Das stimmt. Und es stimmt auch, dass der Genuss von Speiseeis nichts mit dem Durst der Menschen in Afrika zu tun hat.

Was mich aber zunehmend ärgert und nervt, sind die „Puppen-Probleme“, mit denen wir uns befassen oder befasst werden. Denn auch Puppen-Probleme verbrauchen Energie, Sendezeit, Lebenszeit, Druckerschwärze. Und – was wohl das ärgerlichste ist – sie lenken von den wirklichen Problemen ab. Puppen-Probleme suggerieren denen, die sich mit ihnen befassen, dass sie es schon schwer genug, heiß genug haben. Sie suggerieren, dass man hierzulande auch schon Probleme hat. Und sich deshalb nicht auch noch mit den Millionen Menschen befassen kann, die vom Verdursten bedroht sind. Und auch nicht mit den Vätern und Müttern hierzulande, die kein Geld haben, um ihren Kindern ein Eis zu kaufen.

Zwischenruf
Sonntag,13.8.2017, 6.55 Uhr, Ö1

Überlebensmittel der Mitmenschlichkeit

Mich nur zu ärgern ist freilich eine wenig angemessene Reaktion. Und so habe ich mich über die Zusendung einer Hilfsorganisation gefreut. Wie gerufen lag der Brief mit der Bitte um eine Spende in meinem Briefkasten. Als ich den Brief aufmache, muss ich mich aber wieder ärgern. Denn neben der Beschreibung des Hilfsprojektes findet sich als kleine Gabe für die Spenderin ein Fächer. Wahrscheinlich soll ich mir damit Kühlung zufächeln.

Die Erzeugung dieses Fächers hat Material verbraucht und Kosten verursacht. In wie vielen tausenden Haushalten wird er nun eine Weile herum liegen, um schließlich im Müll zu landen? Helfen, andere unterstützen, ist für mich nichts, was ein Gegengeschäft braucht. Ich gebe dir, damit du mir gibst.

Helfen, andere unterstützen ist etwas ganz Normales, ganz Natürliches. Etwas grundlegend Menschliches. Sich von der Not anderer zum Handeln bewegen zu lassen, ist ein Lebensmittel, ein Überlebensmittel. Für die, die helfen und für die, denen geholfen wird. Es ist wie Wasser. Wie Brot. Helfen ist das Überlebensmittel der Mitmenschlichkeit.

Darum hat Jesus wohl auch nicht gesagt: Ich bin der Eislutscher des Lebens. Er hat gesagt: Ich bin das Brot des Lebens.