Die Bäume wählen einen König

Dass Menschen sich ihre Regierung selber aussuchen, ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon in der Bibel, im Alten Testament, gibt es eine Geschichte, wie so eine Wahl zu Stande kommt. (Richter 9) Aber Achtung, diese biblische Geschichte ist ironisch, bissig, angriffig.

Zwischenruf 8.10.2017 zum Nachhören:

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Sie geht so: Die Bäume, alle Bäume dieser Erde, haben beschlossen, dass sie einen König haben wollen. Sie haben eine gute Regierung für ihre Gemeinschaft gesucht. Sie haben sich Gedanken gemacht, wer von ihnen als Kandidat in Frage kommt. Dann haben sie eine Liste gemacht: Wer wäre unsere erste Wahl. Wenn das nichts wird, wen hätten wir gerne als nächsten. Und so weiter.

Christine Hubka
ist evangelische Theologin und Gefängnisseelsorgerin

Ich brauche meine ganze Kraft

Eine Abordnung ist also zum Kandidaten der ersten Wahl, zum Lieblingskandidaten gegangen. Es war, so erzählt die Fabel, der Ölbaum. Höflich haben sie ihn gebeten: Sei unser König. Aber der Ölbaum hat abgewunken. Seine Absage hat er in eine Frage gekleidet: Soll ich meine Fettigkeit lassen, die Götter und Menschen an mir preisen, und hingehen, über den Bäumen zu schweben?

Wenn ich diese Absage in Klartext übersetze, dann klingt das so: Liebe Leute, es ehrt mich ungemein, dass ihr mich für würdig und fähig haltet, euer König zu sein. Ich danke euch herzlich für euer Vertrauen. Aber ich muss euch absagen. Denn ich habe Wichtigeres zu tun als ein hohes Amt anzustreben. Meine Wurzeln müssen tief aus dem Boden das bisschen Wasser heraussaugen, das in unserem wasserarmen Land zu finden ist. Meine Zweige müssen das Wasser dann bis in die höchsten Spitzen weiter leiten. Ich brauche meine ganze Kraft, um für die Menschen die allerfeinsten Ölfrüchte, die allerbesten Oliven bereit zu stellen. Neben dieser verantwortungsvollen und anstrengenden Tätigkeit habe ich leider gar keine Möglichkeit, auch noch über euch allen drüber zu schweben.

Feuer vom Dornbusch

Enttäuscht sind die Bäume von ihrem Favoriten fortgegangen und haben es beim nächstgereihten Kandidaten versucht. Das war der Weinstock. Aber auch der Weinstock hat abgelehnt und gesagt: Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Denn auch seine Wurzeln haben tief in die Erde hinunter gereicht. Und seine Aufgabe, den Menschen frohe Stunde und ein kulinarisches Vergnügen zu bereiten, hat ihn ganz und gar ausgefüllt.

Zwischenruf
Sonntag, 8.10.2017, 6.55 Uhr, Ö1

So blieb also nur noch ein Kandidat auf der Liste der Bäume. Dritte Wahl war er, aber nun stand er auf einmal ganz oben. Es war der Dornbusch. Die Abordnung der Bäume ging also zum Dornbusch und sagte: Sei du unser König.

Die Antwort des Dornbusches fiel ganz anders und auch um einiges länger aus als die seiner beiden Vorgänger. Er sagte: Ist’s wahr, dass ihr mich zum König über euch salben wollt? So kommt und bergt euch in meinem Schatten; wenn nicht, so gehe Feuer vom Dornbusch aus und verzehre die Zedern Libanons.

Bibel aktuell

Hier endet die Fabel. Wir erfahren nicht, ob die Bäume das leere Gerede des Dornbuschs durchschaut haben. Denn: Wo und wie soll man sich unter Dornen so bergen, dass es einem gut geht? Dornen geben keinen Schatten. Sie stechen. Wir erfahren auch nicht, ob sie die durchaus nicht so sehr versteckte Drohung verstanden haben, dass der Dornbusch den Ungehorsam seiner Untertanen mit Feuer bestrafen wird. Ohne Rücksicht darauf, dass dann das ganze Land bis über die Grenzen hinaus verbrannt wird. Es bleibt offen, ob die Bäume den Dornbusch schließlich wirklich zum König gemacht haben, oder ob sie sich noch andere Optionen überlegt haben.

Wir wissen aber, wann und warum diese Fabel erzählt wurde. Ein weiser Mann aus Israel hat diese Geschichte seinem Volk erzählt, bevor es daran ging, sich eine Regierung zu wählen. So aktuell kann die Bibel sein.