Bibel der Heiden

Zum 2000. Todestag von Publius Ovidius Naso: „Lust zum Lesen bekam ich zum ersten Mal durch die Freude an den Fabeln aus Ovids ‚Metamorphosen‘“, schreibt Michel de Montaigne in seinen „Essais“. Und er ist nicht der Einzige der sich für Ovids umfangreichstes und bekanntestes Werk begeistert.

Gedanken für den Tag 20.10.2017 zum Nachhören:

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Gut 250 Mythen verarbeitet Ovid hier und befeuert damit die europäische Fantasie auf Jahrhunderte hinaus. Die „Metamorphosen“ werden zum Handbuch des Mythos schlechthin, in der „Bibel der Heiden“, wie das Werk im Mittelalter genannt wird, lernt man antike Götter und Helden kennen. Sie strahlen aus in alle Künste, werden Grundlage für Opern, Gemälde und Romane wie Christoph Ransmayrs „Die letzte Welt“, Filme mit Starbesetzung, Brad Pitt, sorgen für volle Kinokassen.

Christoph W. Bauer
ist Schriftsteller

Unterschied zwischen Kunst und Leben

Ovid hatte immer Befürworter, Gegner gleichfalls. Schon Zeitgenossen bescheinigen ihm, er vergeude sein Talent, er sei zu sprunghaft, es mangle ihm an Tiefe. Seine Klagelieder aus der Zeit des Exils gelten bis weit ins 19. Jahrhundert herauf als „unmännlich“, hier wuchs auch in universitären Kreisen eine Generation heran, die Europa an den Rand des Abgrunds bringen sollte. Wie sich Vertreibung auf Männlichkeit auswirkt, war damals noch nicht Gegenstand der Forschung.

Ovid polarisiert, bis heute. Eines der Leitthemen der „Metamorphosen“, die sexuelle Gewalt, vor allem gegenüber Frauen, sorgt neuerdings in amerikanischen und englischen Universitäten für hitzige Gender-Debatten. Müsse man nicht von der Lektüre des Werks abraten, zumindest einen Warnhinweis anbringen?

„Wer identifikatorisch liest, den Unterschied zwischen Kunst und Leben also nicht begriffen hat, der möge sich am besten ganz von Literatur fernhalten“, schreibt Melanie Möller, Professorin am Institut für Griechische und Lateinische Philologie der Freien Universität Berlin. Ist dem etwas hinzuzufügen?

Buchhinweise:

  • Christoph W. Bauer, „Das zweite Auge von Florenz. Zu Leben und Werk von Guido Cavalcanti“, Verlag Das Wunderhorn
  • Christoph W. Bauer, „stromern. Gedichte“, Haymon Verlag
  • Christoph W. Bauer, „In einer Bar unter dem Meer. Erzählungen“, Haymon Verlag

Musik:

Taverner Players unter der Leitung von Andrew Parrott: „The Gordian Knot Untied“ Z 597 - Musik zu dem Theaterstück, daraus: „Chaconne“ von Henry Purcell
Label: EMI 7698532