Leben in der Fremde

„Ein Barbar bin ich hier, weil ich von niemandem verstanden werde“, ruft uns Ovid aus seinem Verbannungsort zu.

Gedanken für den Tag 21.10.2017 zum Nachhören:

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Warum er verbannt wurde, darüber hält er sich bedeckt, spricht lapidar von carmen et error, meint mit ersterem sein erotisches Lehrgedicht. Dessen Veröffentlichung liegt aber bereits acht Jahre zurück. Er habe – error – zufällig etwas Schlimmes gesehen, sagt er. Was denn? Spekulationen gibt es zuhauf, so manch abenteuerliche darunter. Was immer er gesehen oder gesagt haben mag, der zu bezahlende Preis war hoch. Wer sich nicht anpasst, und das trifft auf Ovid zu, läuft damals wie heute Gefahr, sich Repressalien auszusetzen. Aber den wahren Grund für seine Verbannung werden wir wohl nie erfahren – und müssen es auch nicht.

Christoph W. Bauer
ist Schriftsteller

Vivam - Ich werde leben!

Zwar empfiehlt es sich, Ovids Schicksal nicht mit dem anderer Vertriebener zu vergleichen, seine Verbannung war im eigentlichen Sinn eine Relegation, er durfte sein Vermögen behalten und seine Bücher wurden weiterhin gelesen, selbst die in Tomi verfassten Gedichte. Dennoch: Ob Exil oder Relegation, ob Wirklichkeit oder Erfindung, Ovid gewährt Einblick in sein Leben in der Fremde. Und worunter er am meisten leidet, an der Sehnsucht nach Heimat, findet eine Entsprechung bei Menschen, die im Zuge der Verbrechen des letzten Jahrhunderts ihre Heimat verlassen mussten genauso wie bei jenen, die gegenwärtig bei uns Zuflucht suchen. Sind ihnen folgende Zeilen Zuspruch?

„Sieh mich an: Obwohl ich verzichten muss auf die Heimat, auf euch und mein Haus und mir geraubt wurde, was mir weggenommen werden konnte, werde ich dennoch von meinem Talent begleitet (…) Caesar konnte darüber keinerlei Macht haben!“

Fühlt man sich hier nicht an die Prophezeiung am Ende der „Metamorphosen“ erinnert? „Vivam – Ich werde leben!“, hatte Ovid angekündigt. Er lebt. Das steht außer Frage.

Buchhinweise:

  • Christoph W. Bauer, „Das zweite Auge von Florenz. Zu Leben und Werk von Guido Cavalcanti“, Verlag Das Wunderhorn
  • Christoph W. Bauer, „stromern. Gedichte“, Haymon Verlag
  • Christoph W. Bauer, „In einer Bar unter dem Meer. Erzählungen“, Haymon Verlag

Musik:

Klaus Nomi: „When I am laid in earth - Deine Hand, Belinda“ / Lamento der Dido aus der Oper „Dido und Aeneas"/3.Akt, Z 626 von Henry Purcell, bearbeitet von Jack Waldman
Label: RCA PD 70229