Lebenszeit

Es ist paradox: Noch nie hatte der Mensch so viele Dinge, die ihm Zeit ersparen und noch nie hatte er dennoch so sehr das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben. Der Mensch ist gehetzt. Er isst im Gehen, er checkt seine E-Mails während er in der U-Bahn sitzt, er telefoniert im Fitness-Center.

Gedanken für den Tag 24.10.2017 zum Nachhören:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Noch nie hatten wir so viel Lebenszeit zur Verfügung wie heute. Die Lebenserwartung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verlängert, die Arbeitszeit hat sich verringert, die Wegzeiten sind kürzer und sogar die Schrittgeschwindigkeit von Menschen in Industrieländern hat innerhalb eines Jahrzehnts um zehn Prozent zugenommen. Gleichzeitig nutzen wir diese Zeit nicht für Pausen sondern wir stopfen sie zu. Je mehr Zeit wir haben, desto mehr Zeit verplanen wir. Wer sitzt schon mal eine Stunde herum und tut absolut gar nichts? Es käme einem vor wie verschwendete Zeit und doch: was ist schlecht an verschwendeter Zeit?

Saskia Jungnikl
ist Journalistin und Autorin

Zeit bremsen

Je älter wir werden, desto schneller verfliegt unsere Lebenszeit. Leben wird zur Routine und je routinierter wir werden, desto weniger Neues muss unser Geist verarbeiten. Die Zeit scheint wie nichts zu vergehen. Was kann man dagegen tun? Oder anders gefragt: Wenn ich Dauer subjektiv empfinden und beeinflussen kann, ist es dann möglich, mir selbst durch objektives Zeitgefühl ein längeres Leben vorzugaukeln? Ja, das geht. Je mehr Neues und Emotionales man erlebt, desto mehr prägt sich im Gedächtnis ein – und desto stärker entschleunigt sich das Leben rückblickend.

Jeder kann die gefühlte Zeit abbremsen. Wir sind unsere Zeit. Wir füllen sie mit Dingen und welchen Sinn haben diese Dinge, wenn wir währenddessen nicht mal bei der Sache sind? An je mehr Ereignisse wir uns erinnern, desto länger kommt uns eine Zeitspanne vor. Also lasst uns Ereignisse schaffen! Jene, die es wert sind, dass wir uns daran erinnern.

Buchhinweis:

Saskia Jungnikl, „Eine Reise ins Leben oder wie ich lernte, die Angst vor dem Tod zu überwinden“, Fischer-Verlag

Musik:

Gordan Nikolitch/Violine und Orchestre d’Auvergne unter der Leitung von Jean Jacques Kantorow: „Andantino“ aus dem Oratorium „Le Deluge“ op. 45 - für Violine und Orchester von Camille Saint Saens
Label: Denon CO 75596