Die Sprengkraft der 95 Thesen

Schon die erste der 95 Thesen Martin Luthers birgt einiges an Sprengstoff. Sie lautet: „Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ‚Tut Buße‘, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.“

Gedanken für den Tag 31.10.2017 zum Nachhören:

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Also nicht eine einzelne Handlung, und schon gar nicht eine Geldleistung können als Erfüllung dieses Gebotes gelten. Buße ist eine Lebenshaltung und kein Geschäft. Sie ist auch nicht an eine spezifische kirchliche Handlung gebunden. Dieses Verständnis der Buße hatte Luther aus mystischen Wurzeln des Spätmittelalters und vor allem von seinem Ordensvorgesetzten und Beichtvater, Johann von Staupitz, gelernt. In den Thesen 43 und 44 spitzt er zu und sagt: „Wer einem Armen gibt oder einem Bedürftigen leiht, handelt besser, als wenn er Ablässe kaufte. Denn durch ein Werk der Liebe wächst die Liebe und der Mensch wird besser. Aber durch Ablässe wird er nicht besser.“

Michael Bünker
ist evangelisch-lutherischer Bischof in Österreich

Kritik am Ablasswesen

Ob die Thesen an der Türe der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen wurden und ob das wirklich Professor Luther eigenhändig getan hat und nicht viel eher ein Bediensteter der Universität, etwa der Pedell, lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Die meisten Berichte über einen „Thesenanschlag“ stammen aus späterer Zeit und manche auch von Menschen, die 1517 noch gar nicht in Wittenberg waren.

Sicher ist, dass Luther am 31. Oktober die Thesen mit einem Begleitbrief an den Erzbischof von Mainz, Albrecht von Brandenburg, geschickt hat. Der Brief ist im Original erhalten und dokumentiert Luthers grundsätzliche Kritik an der Ablasspraxis . Der Erzbischof hat den Brief und die Thesen erst einen Monat später erhalten. Er antwortet Luther gar nicht. Vielmehr betreibt er sofort ein Unterlassungsverfahren gegen den renitenten Mönch aus Wittenberg und schickt gleichzeitig die Thesen nach Rom, um sie auf Häresie überprüfen zu lassen. Dort liegen sie einmal ein Jahr lang, ohne dass irgendetwas geschieht. Nur Johannes Tetzel, der kampagnenerprobte Ablassprediger, geht zum Gegenangriff über und veröffentlicht seinerseits Thesen, die den Ablass gegen Luther verteidigen sollten. Dadurch kam die Kontroverse erst so richtig in Schwung, denn die Kritik am Ablasswesen lag damals in der Luft. Statt eines Dialogs aus Liebe zur Wahrheit kam es zu heftiger Polemik. Und im Hintergrund drohte das Ketzerurteil aus Rom.

Musik:

German Brass unter der Leitung von Enrique Crespo: „Jesus bleibet meine Freude“ - Choral / Nr. 10 aus der Kantate „Herz und Mund und That und Leben“ BWV 147 von Johann Sebastian Bach
Label: EMI 7474302