Auf Gnade angewiesen

Du weißt, es ist Montag wenn... du für ein kleines Vergehen mit dem Auto gnadenlos bestraft wirst. Vielleicht einfach Pech. Vielleicht ein Anreiz, die Sache grundlegender zu hinterfragen.

Morgengedanken 6.11.2017 zum Nachhören:

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Eilig verlasse ich das Haus. Der Hausbesuch bei der älteren Dame hat etwas länger gedauert, und mein Parkschein ist mittlerweile abgelaufen. Als ich zu meinem Auto komme, klemmt ein Uniformierter gerade einen Strafzettel unter den Scheibenwischer. „Ihr Wagen?“, fragt der Beamte freundlich. „Tut mir leid - jetzt kann ich leider keine Gnade mehr walten lassen.“

Stefan Schröckenfuchs
ist Superintendent der evangelisch-methodistischen Kirche in Österreich

„Alles ist Gnade“

Der Beamte geht, und zurück bleibe ich mit meiner unnötigen Strafe. „Jetzt kann ich leider keine Gnade mehr walten lassen“, klingt es nach. Gnade walten lassen zu können - das hat offenbar etwas mit Freiheit zu tun. Die Vorgaben des Beamten lassen ihm für Gnade keinen Raum. Wie froh bin ich doch, dass Gott solche Freiheit hat! Und wie sehr bin ich auf seine Gnade angewiesen! Nicht, weil ich ein schlechterer Mensch wäre als andere. Sondern weil „auf Gnade angewiesen zu sein“ ganz einfach zum Menschsein gehört.

„Alles ist Gnade“, sagte einst auch John Wesley, der Begründer der methodistischen Bewegung im 18. Jahrhundert. Letztlich ist alles Gnade - denn es gibt ja nichts, das ich mir irgendwie komplett verdient hätte. Die entscheidenden Dinge meines Lebens liegen ja gar nicht in meiner Hand: dass ich geboren wurde, dass ich von liebevollen Eltern großgezogen wurde, dass ich mit Begabungen gesegnet bin. Dass ich in einem Land und einer Zeit lebe, in der es Frieden gibt, gute Bildung und ein soziales Netz. Aus manchem, was mir in die Wiege gelegt wurde, habe ich später vielleicht etwas gemacht. Doch dass letztlich alles Gnade ist, und ich weiter auf Gnade angewiesen bin, ist für mich eine der entscheidenden Einsichten des Glaubens.