Dies Irae - Wunder des Zorns

Freiheit und Gerechtigkeit stehen im Zentrum beinahe jeder Geschichte über Revolution. Aber sollte man nicht zwei Energien näher unter die Lupe nehmen, die sonst eher als unangenehme Nebenerscheinungen gedeutet werden?

Gedanken für den Tag 17.11.2017 zum Nachhören:

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Gewalt und Zorn. Sind sie nicht die entscheidenden Treiber jeder Umwälzung? „Mit kaltem Blut wird kein Wunder verrichtet“, sagt der Philosoph Ludwig Feuerbach und plädiert für „das Wunder des Zorns.“

Und tatsächlich. Wenn wir den Begriff vom Umsturz weit genug fassen, dann sind auch die heiligsten Umstürze mit Zorn und Gewalt verbunden. Selbst der Weg ins Himmelreich ist mit Zerstörung gepflastert. Man nehme nur das Jüngste Gericht. Auf mittelalterlichen Darstellungen sieht man die stolzen Könige, reiche Leute und wohlgenährte Kardinäle in Ketten vorgeführt. Sie werden von Teufeln gefoltert und zerrissen, oder über der Höllenglut geröstet. Die Armen und Entrechteten hingegen ziehen ins Reich der Seligen. Eine wirkliche Revolution: Aus mächtig wird schwach, aus arm an Mitteln wird reich an Gnade. Durch den gewaltigsten und gewalttätigsten Zorn, den Zorn Gottes.

Oliver Tanzer
ist stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Furche“

Jüngster Jubeltag

Aber hier liegt ein Paradoxon: Christen werden von Christus angehalten, gewaltfrei zu leben, ihre Feinde zu lieben. Das ist der Sieg des Glaubens über die Gewalt, die eigentliche christliche Revolution. Gott selbst tritt aber in unserer Vorstellung des Jüngsten Gerichts als Konterrevolutionär auf. Er vollbringt seinen „Dies irae“ als eine Art grausiges Schlachtfest für sadistische Teufel.

Die Guten aber sehen nach dieser Darstellung der Folter auch noch zu, anstatt Gott um Gnade für die Sünder anzuflehen. Wäre das die ewige Gerechtigkeit? Eine Art Bausparer von Gut und Böse, einzulösen am Tag X?

Warum sollte Gott eigentlich nicht nach jenen Prinzipien handeln, die er den Gläubigen auferlegt? Würde er das tun, das Jüngste Gericht wäre ein Jüngster Jubeltag. Ein Fest für das Sein an sich, das einzige Geschenk, das der Mensch tatsächlich erhält. Der einzige Wert auch, der sich dem Fluch von Gut und Böse entzieht. Dieses Fest ließe deshalb auch das „Wunder des Zorns“ wie eine alte unzivilisierte Zote erscheinen. Und das Beste daran wäre: Diese Revolutionsfeier könnte schon jetzt beginnen. Gleichsam im Himmel auf Erden.

Musik:

T.Rex: „Children of the Revolution“ von Marc Bolan
Label: Columbia COL 4811992