Zwischen die Bäume hinein

In vier kurzen Sätzen, noch einmal, stellt Adalbert Stifter in dem Dichtungsversuch Witiko einen Ritt zu einem Wald und in dem Wald dar. Diese lauten: „Sie ritten mittagwärts dem Walde zu. Im Walde ritten sie auf einem schmalen Pfade zwischen die Bäume hinein. Sie ritten auf dem Pfade unablässig fort. Zuweilen trank einer aus einer Quelle, die an allen Orten im Walde rieselten.“

Gedanken für den Tag 27.1.2018 zum Nachhören:

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Schon in dem Wort mittagwärts klingt das Wort ritten wieder, noch bevor es wiederholt wird, nahezu als ginge es im Trab auf den Wald zu, bis es dann heißt: „Im Walde ritten sie auf einem schmalen Pfade zwischen die Bäume hinein.“ Hier nun kann eingewendet werden, dass, wer im Wald ist, nicht mehr zwischen die Bäume hineinreiten kann. Was aber durch diese scheinbare Unstimmigkeit in Sprache übersetzt wird, ist ein Übergang. Es ist ein Übergang, der sich nicht abrupt vollzieht, sondern ein Übergang, in dem die Seele oder Sprache nicht ganz mithält mit dem Schritt, dem Ritt in den Wald. Denn die Reiter sind schon im Wald, als der Ritt zu einem in den Wald wird, nämlich zwischen die Bäume hinein.

Michael Donhauser
ist Schriftsteller

Diese Verwandlung der Zielstrebigkeit, womit eben noch auf den Wald zu geritten wurde, in ein solches Stocken der Stimmigkeit, könnte, ginge man weit, als ein Wechsel vom Trab in den Schritt gedeutet werden. Doch dichterisch ist hier, dass das Überschreiten einer Schwelle, des Waldrandes, eben nicht thematisiert, sondern übersetzt wird in eine Sprache, die Übergang ist, nämlich unentschieden zwischen im Wald und in den Wald, also zwischen die Bäume hinein. Wer so schreibt, spricht, indem er nicht spricht, in einer Verdichtung nämlich, die fern davon, Destillat zu sein, sich einer Hingabe an die Sprache eher denn einer Sprachbesessenheit verdankt.

Buchhinweis:

Michael Donhauser, „Waldwand“, Verlag Matthes & Seitz

Musik:

Jean Pierre Rampal/Flöte, Isaac Stern/Violine und Franz Liszt Kammerorchester unter der Leitung von Janos Rolla: „Andante - 2. Satz“ aus: „Konzert für Flöte, Violine, Streicher und Cembalo in g-moll RV 517“ von Antonio Vivaldi
Label: Sony SK 45867