Ukraine: Traumatisierte Kinder

Themen: Kriegskinder in der Ukraine; Kirchenkonflikt in Kiew

Der frisch gefallene Schnee lässt die Stadt Slowjansk im Osten der Ukraine fast malerisch wirken. Doch der Schein trügt: Noch 2014 war die Stadt umkämpft zwischen ukrainischer Armee und den Separatisten. Auch wenn die Einschusslöcher, Wunden in den Hausfassaden, ausgebessert wurden, die Wunden in den Seelen der Kinder sind geblieben.

Praxis
Mittwoch, 14.2.2018, 16.05 Uhr, Ö1

Kriegskinder in der Ukraine

Die 36-jährige Yulia begrüßt uns in ihrer ärmlichen Eineinhalb-Zimmer-Wohnung, die sie mit ihren beiden Söhnen bewohnt. Sie sind vor eineinhalb Jahren aus Cholivka in der Nähe von Donjezk vor den Kämpfen geflohen. Die Sehnsucht nach Zuhause ist groß, dort sei alles gut gewesen, sagt Yulia mit tränenerstickter Stimme.

Der 12-jährige Maksim hat Asthma, muss deshalb immer wieder ins Spital, und die Erinnerungen an den Krieg quälen ihn. „Ich will nicht mehr nach Cholivka zurück. Dort ist alles schrecklich und traurig“, sagt der Bub leise. „Separatisten haben damals unser Haus umstellt und wollten schon darauf schießen. Aber Passanten haben gesagt: ‚Wisst Ihr eigentlich, dass da drin Kinder leben? Ihr dürft nicht schießen‘."

Ukraine Krieg Flucht Caritas

ORF/Alexandra Mantler

Yulia und ihr 12-jähriger Sohn Maksim sind vor den Kämpfen nach Slowjansk geflohen.

Maksim macht sich Sorgen um seinen Vater, der noch immer in Cholivka lebt, weil er das Haus der Familie nicht einfach aufgeben möchte, damit sie nach dem Krieg wieder dorthin zurückkehren könnten. Doch wann das sein wird, dieses Nach-dem-Krieg, das weiß hier keiner. Yulia hat wenig Hoffnung, dass es bald vorbei sein könnte. Sie könne den ganzen Konflikt nicht verstehen, meint sie: „Es wird gesagt, dass der Krieg im Donbas begonnen hat, um zu verhindern, dass auf der Krim ein bewaffneter Konflikt ausbricht. Aber vor dem Krieg sind wir alle auf die Krim auf Urlaub gefahren. Das war unser Haupterholungsgebiet, für Russen UND für Ukrainer. Und wir konnten jederzeit nach Russland rüber fahren. Aber das ist jetzt alles anders geworden.“

Normalität und Stabilität in Kinderzentren

Früher habe ihr Mann in einem Fleischkombinat gearbeitet, aber jetzt könne er die Familie nicht unterstützen, erklärt Yulia, denn in der Pufferzone gäbe es kaum mehr Arbeitsplätze. Finanziell sind Yulia und ihre Kinder auf sich allein gestellt, sind dankbar für jede Hilfe, die sie von der Caritas bekommen: Lebensmittel, Heizmaterial und demnächst auch einen Platz in einem der Kinderzentren, wo Psychologinnen dabei helfen, die Erlebnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten und die Jüngsten beim Malen, Basteln oder Tanzen endlich wieder einmal unbeschwert Kind sein dürfen.

Kinderzentren in der Ukraine:
Caritas Österreich

Caritas-Präsident Michael Landau stellt fest, Schulen und Kindergärten böten nicht nur Bildung, sie seien auch Indikatoren für Normalität und Stabilität, geben Kindern Sicherheit und Struktur. „In den Kinderzentren bekommen Kinder nicht nur Unterstützung, um die Traumatisierungen des Kriegsalltags verarbeiten zu können, es sind oft auch die einzigen Orte, an denen es warmes Wasser gibt, die Heizung funktioniert und ausreichend zu essen da ist. Es sind Orte, wo Kinder Kinder sein können und Kräfte für die Zukunft sammeln.“ Die Caritas betreibt in der Ukraine 15 solcher Kinderzentren und unterstützt eine Reihe weiterer Einrichtungen, in denen tausende Kinder in ihrer psycho-sozialen Entwicklung gefördert werden. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Kirchenkonflikt in Kiew

Der Krieg in der Ukraine hat auch das Verhältnis zwischen den einzelnen christlichen Kirchen nicht unbedingt verbessert. Einerseits sind im ukrainischen Kirchenrat 19 Konfessionen vertreten, andererseits bestehen in der Ukraine vier orthodoxe Kirchen, die auch die schwierige Geschichte des Landes und seine enorme Heterogenität widerspiegeln. Vor allem zwischen dem Moskauer und dem Kiewer Patriarchat gab es immer wieder kirchenpolitische Konflikte, die nun durch den de facto Krieg zwischen der Ukraine und Russland eine neue Dimension gewonnen haben. Denn die politische Führung in Kiew forciert das Kiewer Patriarchat mit dem derzeit unrealistischen Ziel, einen autokephalen (eigenständigen) Status zu erreichen. Andererseits ist das Moskauer Patriarchat politisch zum Lavieren gezwungen, weil es auch auf der annektierten Halbinsel Krim und im Kriegsgebiet in der Ostukraine als größte Konfession präsent ist. - Gestaltung: Christian Wehrschütz

Moderation: Judith Fürst

Praxis 14.2.2018 zum Nachhören:

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