Kauerndes Menschenpaar

Bilder spiegeln die Vorstellung einer Gesellschaft, einer historischen Epoche von der Beziehung zwischen den Geschlechtern. In Zeiten der Singlegesellschaft und der zunehmenden Scheidungen fungieren historische Bilder aber auch als Projektionsfläche für unerfüllte und kindliche Sehnsüchte nach der Verschmelzung zweier Personen.

Gedanken für den Tag 22.3.2018 zum Nachhören:

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Wie sonst lässt sich erklären, dass Gustav Klimts legendärer „Kuss“ zum begehrtesten Besuchsobjekt von Touristen aus allen Ländern wurde.

In Bildern der Liebe zeigt sich vor allem die jeweilige Sichtweise des fast immer männlichen Künstlers auf das Verhältnis der Geschlechter. So kniet die Frau auf Klimts „Kuss“, ganz dem Beziehungsmodell der Jahrhundertwende entsprechend, hingebungsvoll vor dem Mann, der als aktiver Part seine Hände um die ihm ergebene Frau schlingt.

Johanna Schwanberg
ist Kunstwissenschaftlerin und Direktorin des Dom Museum Wien

Keine Garantie auf Dauer

Mich hat bereits als junges Mädchen bei Besuchen im Belvedere Egon Schieles Ölbild „Kauerndes Menschenpaar“ aus dem Jahr 1918 mehr als das Klimt-Gemälde angesprochen. Auf dem in Erdtönen gehaltenen, beinahe quadratischen Bild ist ein nacktes Paar zu sehen. Es sitzt auf einem Sofa - nicht neben sondern hintereinander - und berührt sich nur scheinbar zufällig an marginalen Körperstellen. Die Liebenden wirken eng verbunden und doch blicken beide in eine andere Richtung. Trotz Nähe dominieren Individualität, auch Isolation und Einsamkeit. Zu Füßen der Frau ist ein Kinderkopf zu erkennen. Er war ursprünglich nicht in die Komposition miteinbezogen – wahrscheinlich hat ihn Schiele, als er von der Schwangerschaft seiner Frau Edith erfuhr, nachträglich ergänzt. Das Kind kam nie zur Welt. Die gesamte Familie starb kurz nach der Entstehung des Bildes vor 100 Jahren an der Spanischen Grippe. Mit diesem Wissen erscheint die melancholische Darstellung geradezu visionär.

Mich berührt dieses Bild und seine Geschichte besonders, weil es zeigt, dass nichts selbstverständlich ist. Jede Form der Nähe, des Glücks, der Gesundheit hat keine Garantie auf Dauer. Genau deshalb ist es bereichernd, durch die Kunst daran erinnert zu werden, stets im Jetzt zu leben.

Link:

Dom Museum Wien

Musik:

Great Orchestra of Kataowice unter der Leitung von Antoni Wit: „Les Marionettes“ aus: „La double vie de Véronique“ / Original Filmmusik von Zbigniew Preisner
Label: 1991 Sideral Virgin LC 3098