Gewaltfreier Krimineller

Die bekannteste und rhetorisch eindrucksvollste Ansprache Martin Luther Kings war wohl seine „I have a dream“- Rede, die er Ende August 1963 vor dem Lincoln Memorial in Washington hielt.

Gedanken für den Tag 5.4.2018 zum Nachhören:

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Zumindest ebenso aufschlussreich für Kings religiöse und politische Überzeugungen ist sein Mitte April desselben Jahres verfasster „Brief aus dem Gefängnis von Birmingham“. Am Karfreitag des Jahres 1963 fand im stark segregierten Birmingham in Alabama ein Protestmarsch gegen die Rassentrennung statt. Da Demonstrationen in der Stadt jedoch kurz davor durch eine gerichtliche Verfügung untersagt worden waren, wurden zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Marsches verhaftet, darunter auch Martin Luther King.

Kurt Remele
ist Professor für Ethik und christliche Gesellschaftslehre an der Universität Graz. Derzeit ist er Gastwissenschaftler an der Universität Oxford.

Kritik der Amtsbrüder

Während seiner Haft wurde King eine Erklärung übermittelt, die von acht lokalen Geistlichen unterzeichnet war. Diese verurteilten Kings Protestaktionen als unklug, voreilig und extrem. King gelang es, eine Antwort zu verfassen und aus dem Gefängnis zu schmuggeln.

Im seinem inzwischen zu einem modernen Klassiker der politischen Philosophie avancierten „Brief aus dem Gefängnis von Birmingham“ beantwortet King die Kritik „seiner lieben Amtsbrüder“ Punkt für Punkt. Offen bekennt er seine tiefe Enttäuschung über die weißen Kirchen. Von ihnen sei nichts zu hören als, so King im Wortlaut, „scheinheilige Belanglosigkeiten und bigotte Trivialitäten“. Sachkundig und eloquent begründet er, warum jene, die ein ungerechtes, menschenrechtswidriges Gesetz gewaltlos brechen und dafür die Strafe auf sich nehmen, in Wahrheit „die höchste Achtung vor dem Gesetz zum Ausdruck bringen.“ Gewaltfreier Widerstand sei unverzichtbar, denn die Erfahrung zeige, „dass die Unterdrücker den Unterdrückten die Freiheit niemals freiwillig geben, sondern dass sie von den Unterdrückten eingefordert werden muss.“

Musik:

Billie Holiday: „Strange fruit“ von Lewis Allan
Label: Jazz 8337702