„Laudato si“: Papst ruft zu „ökologischer Bekehrung“ auf

Die Welt steht vor Zukunftsfragen, die keinen Aufschub dulden: Das erklärt der Papst in seiner Öko-Enzyklika „Laudato si“. Die Österreichische Bischofskonferenz nannte die am Donnerstag veröffentlichte Enzyklika ein „epochales Werk“.

Mit den herrschenden Maximen eines rein technologischen Fortschrittsglaubens, gepaart mit einem rein auf Gewinn ausgelegten Wirtschaftssystem und Moralvorstellungen, wonach sich jeder selbst der Nächste ist, fahre die Menschheit die Welt und sich selbst an die Wand, so die Warnung des Papstes. Er ruft die Weltgemeinschaft zu einem fundamentalen Umdenken und jeden Einzelnen zu einem umweltbewussten und nachhaltigen Lebensstil auf.

Großes Interesse an Enzyklika

Die zweite, mit Spannung erwartete Enzyklika von Franziskus trägt den Titel „Laudato si“ (Gelobt seist du) nach dem „Sonnengesang“ des heiligen Franz von Assisi, nach dem sich der Pontifex benannt hat, und den Untertitel „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“. Sie umfasst rund 220 Seiten und sechs Kapitel. Zum ersten Mal stellt ein Papst damit ökologische Fragen in den Mittelpunkt eines so verbindlichen päpstlichen Dokuments. Der Papst wendet sich dabei zugleich an „alle Menschen guten Willens“.

Noch nie sei das Interesse an einem Dokument des Papstes so groß gewesen, so der vatikanische Pressesprecher Pater Federico Lombardi bei der Vorstellung des Lehrschreibens. Der Papst habe im vergangenen Monat Auszüge der Enzyklika per Mail an die Bischöfe auf der ganzen Welt gesendet. Das sei davor noch nie geschehen.

Lösung liegt in „Humanökologie“

Kein gutes Haar lässt der Papst an den internationalen Klimakonferenzen. Die Erfolge seien „sehr spärlich“. Auch aus der Finanzkrise habe die Welt nichts gelernt. Die Politik dürfe sich nicht länger dem Diktat der Wirtschaft unterwerfen, sie müsse sich aber auch selbst aus den Vorgaben rein kurzfristiger Perspektiven befreien und endlich über „armselige Reden“ hinauskommen.

Nonne liest Laudato si

Reuters/Max Rossi

Eine Nonne liest die Öko-Enzyklika von Papst Franziskus

Eindeutig spricht sich der Papst auch für starke internationale Institutionen mit Sanktionsmöglichkeiten aus, um die Reduzierung der Umweltverschmutzung bei gleichzeitiger Bekämpfung von Armut in Angriff nehmen zu können. Der Papst übt außerdem Kritik an dem weltweiten Handel mit Emissionszertifikaten, der Mitschuld an dem Klimawandel trage.

Arme am meisten betroffen

Franziskus spricht von einer einzigen, umfassenden sozio-ökologischen Krise: Umweltschutz, Armutsbekämpfung und der Einsatz für Menschenwürde gehörten untrennbar zusammen. Ein wirklich ökologischer Lösungsansatz sei deshalb immer auch ein sozialer Ansatz, „der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde“, nicht zuletzt, weil von der Ökokrise die Armen am schlimmsten betroffen seien. Die Lösung kann deshalb für den Papst nur in einer „ganzheitlichen Ökologie“ oder „Humanökologie“ liegen.

Umweltschutz und Abtreibung

Das bedeute aber etwa auch: Wer für die Bewahrung der Natur eintritt, könne deshalb nicht zugleich für Abtreibung oder Experimente mit lebenden menschlichen Embryonen sein. Der Papst findet auch deutliche Worte, um auf die Problematik der Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen: „Die Erde, unser Haus, scheint sich immer mehr in eine unermessliche Mülldeponie zu verwandeln.“

Der Klimawandel ist für den Papst ein wissenschaftlich belegtes Faktum und der Wassermangel ein zentrales Thema: „Der Zugang zu sicherem Trinkwasser ist ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht, weil es für das Überleben der Menschen ausschlaggebend und daher die Bedingung für die Ausübung der anderen Menschenrechte ist.“

Konsum senken statt Geburtenrate

Den Armen den Zugang zu Wasser vorzuenthalten heiße, „ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräußerlichen Würde verankert ist“. In der Begrenzung der Geburtenrate liege sicherlich keine Lösung begründet, sondern es müsse dem „extremen und selektiven Konsumverhalten“ eines kleinen Teils der Weltbevölkerung entgegengewirkt werden. Der lateinamerikanische Papst sorgt sich auch um die Pflege der kulturellen Reichtümer der Menschheit und um die indigenen Völker. Auch die Sorge um diese Völker sei Teil einer ganzheitlichen Ökologie, wie auch die Verbesserung der Lebensqualitäten eines Großteils der Weltbevölkerung.

Papst Franziskus winkt

Reuters/Max Rossi

Papst Franziskus denkt besonders an die Armen: Sie würden am meisten leiden

Wert von Mensch und Natur verkannt

Franziskus gibt dem „technokratischen Paradigma“ und einer falschen Sicht der Stellung des Menschen („fehlgeleiteter Anthropozentrismus“) und seines Handelns in der Welt (Relativismus) Mitschuld an den Problemen. Dieses dominante technokratische Paradigma nehme die gesamte Realität als Objekt wahr, die man grenzenlos manipulieren kann. Von da aus gelange man leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums. „Dieses Wachstum setzt aber die Lüge bezüglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten voraus, die dazu führt, ihn bis zur Grenze und darüber hinaus auszupressen“, schreibt der Papst.

„Wenn man schon in der eigenen Wirklichkeit den Wert eines Armen, eines menschlichen Embryos, eines Menschen mit Behinderung - um nur einige Beispiele anzuführen - nicht erkennt, wird man schwerlich die Schreie der Natur selbst hören.“ Alles sei schließlich miteinander verbunden. Als Konsequenz dieses fehlgeleiteten Anthropozentrismus ortet der Papst einen praktischen Relativismus, bei dem alles irrelevant wird, „wenn es nicht den unmittelbaren eigenen Interessen dient“.

Appell zur Solidarität

Dem hält der Papst das Prinzip des Gemeinwohls entgegen: Ganzheitliche Ökologie oder Humanökologie „ist nicht von dem Begriff des Gemeinwohls zu trennen“. Das beinhalte unter gegenwärtigen Bedingungen vor allem auch einen „Appell zur Solidarität“ und zu einer „vorrangigen Option für die Ärmsten“. Das Gemeinwohl betreffe auch zukünftige Generationen, so der Papst: „Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?“

Der Papst nimmt auch die Politik stark in die Pflicht: Wenn die Politik nicht imstande sei, „eine perverse Logik zu durchbrechen“, und wenn sie nicht über „armselige Reden“ hinauskomme, so werde die Menschheit „weitermachen, ohne die großen Probleme der Menschheit in Angriff zu nehmen“. Politik und Wirtschaft müssten sich beide „entschieden in den Dienst des Lebens“ stellen, mahnt der Papst.

Religionen als Dialogpartner

Der Glaube biete „wichtige Motivationen für die Pflege der Natur und die Sorge für die schwächsten Brüder und Schwestern“, hält er fest. Die Verantwortung für die Natur sei Teil des christlichen Glaubens. Die Religionen müssten auch untereinander einen Dialog aufnehmen, „der auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und der Geschwisterlichkeit ausgerichtet ist“, fordert Franziskus.

Reaktionen: „Epochales Werk“

Als „epochales Dokument“ und als „Gabe und Aufgabe zugleich“ bezeichneten Österreichs Bischöfe die neue Öko-Enzyklika. Das Lehrschreiben biete einen fundamentalen Blick auf die Ursachen der „noch nie in der Menschheitsgeschichte da gewesenen Bedrohungen für das Leben und Überleben auf Erde“, heißt es in der Erklärung der Bischofskonferenz.

Mit „Laudato si“ sei dem Papst ein „Meilenstein“ gelungen, so Kardinal Christoph Schönborn am Donnerstag. Er wolle die Enzyklika in ihrer Tragweite schon jetzt mit der großen Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ (1891) von Papst Leo XIII. vergleichen, mit der der Papst damals die Tür für die katholische Soziallehre geöffnet habe. „Laudato si“ werde nun ebenso der ökologischen Bewegung einen enormen Impuls geben, zeigte sich der Vorsitzende der Bischofskonferenz überzeugt.

Schaffelhofer: Hohe Messlatte"

Ein „Gesamtkunstwerk“ zum Thema Zukunft des gesamten Globus und einen Impuls in Richtung einer „ganzheitlichen Ökologie“ nannte der in der Bischofskonferenz für Umweltfragen zuständige Kärntner Bischof Alois Schwarz die Enzyklika. Im kirchlichen Bereich geschehe schon viel in Richtung Nachhaltigkeit, das Papst-Schreiben sei nun ein weiterer Anstoß zu fragen, „wo es etwas besser zu machen gilt“, so Schwarz.

Die Präsidentin der Katholischen Aktion (KAÖ), Gerda Schaffelhofer, sagte, der Papst habe mit seiner Umweltenzyklika eine „hoch gelegte Messlatte der Nachhaltigkeit“ formuliert. „Mit den klaren, unmissverständlichen Worten dieser Enzyklika hat Franziskus nicht nur uns Katholiken, sondern der ganzen Menschheit etwas vorgelegt, an dem wir nicht mehr vorbeikommen“, so Schaffelhofer.

religion.ORF.at/KAP/APA

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