Die Macht der Imaminnen

Frauen erobern die männliche Bastion der Predigt: Seyran Ates, Imamin und Menschenrechtsanwältin, im religion.ORF.at-Interview über die Reformerinnen im Islam und ihre neue Moschee der Menschlichkeit.

Wenn sich am 16. Juni in der neu gegründeten Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin erstmals die Tore zum Freitagsgebet öffnen, wird alles anders. Frauen und Männer beten dort gemeinsam. Statt des Imams wird eine Frau die Predigt leiten: Elham Manea, gebürtige Ägypterin aus der Schweiz, Politologin und Imamin. Sie kommt wie ihre Gastgeberin, Moscheegründerin Ates, ohne Kopftuch aus.

Die Imamin Seyran Ates

Privat

Die Imamin Seyran Ates

Es ist ein weltumspannender Trend: Mehr und mehr Frauen amtieren als Imaminnen. Viele glauben an eine feministische Exegese des Korans. In New York praktiziert das Amina Wadut. Die dänische Imamin und Vorsteherin einer Moschee in Kopenhagen, Sherin Khankan, sagte kürzlich in einem Interview, sie wolle „die patriarchalischen Strukturen aufbrechen, die bis heute in unseren religiösen Institutionen herrschen“.

Just vergangene Woche sorgte Ägypten mit der Ankündigung, ab März 144 Frauen offiziell zur Predigt in den Moscheen zuzulassen, für eine Weltsensation: zum ersten Mal in der Geschichte des Landes machen Imaminnen ihren 55.000 lizenzierten männlichen Kollegen Konkurrenz. Ihre Ausbildung soll an der renommierten Al-Ashar-Universität erfolgen. Die Initiative ist Teil einer großangelegten Religionsreform der Regierung als Präventivmaßnahme gegen Radikalisierung.

Brücke vom Orient zum Okzident

In Österreich sind etwa zehn Imaminnen aktiv. Wie ihre ägyptischen Amtskolleginnen dürfen auch sie, der traditionellen Geschlechtertrennung verpflichtet, nur Frauen vorbeten. Das reicht Ates nicht: „Nirgends im Koran oder den Hadithen (mündliche Überlieferungen, Anm.) finden sich Hinweise darauf, dass es nicht erlaubt ist, dass Frauen beiden Geschlechtern vorbeten dürfen“, sagte die 53-Jährige im Interview im religion.ORF.at in der Wiener Innenstadt.

Buchhinweis

Seyran Ates: Selam, Frau Imamin. Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete. Ullstein, Erscheinungsdatum: 16. Juni.

Die Menschenrechtsanwältin ist eine Frauenrechtlerin im Wortsinn. Die prominente Feministin ist seit Jahrzehnten gegen die Auswüchse eines radikalen Islamismus aktiv: gegen Schleier, Ehrenmord und Zwangsheirat. Jetzt hat sie sich zur Imamin ausbilden lassen und darüber ein Buch geschrieben. „Selam, Frau Imamin“ erscheint am 16. Juni im Ullstein-Verlag. „Gerade wir Frauen müssen uns mehr um unsere Religion kümmern, müssen von innen heraus für Veränderungen sorgen. Und das geht am besten da, wo der Glaube stattfindet: in der Moschee“, so Ates.

Ates weiter: „Wir wollen aus der ganzen islamischen Welt all die Aufklärer, Liberalen und tollen Intellektuellen, die dort schon seit Jahrhunderten existieren, sichtbar machen, eine Brücke zwischen Morgenland und Abendland schlagen“ und dem Islam ein anderes Gesicht geben.

„Unheil“ bei Traditionalisten

Ihr Ziel sei es, „erstmalig im deutschen Sprachraum einen öffentlichen Raum zu schaffen, in dem liberale Muslime ihren Glauben modern leben können. In Privaträumen treffen sich schon viele liberale Muslime und praktizieren diesen modernen Islam. Meine Arbeit bei der Islamischen Glaubenskonferenz Deutschlands hat mir gezeigt: Wir liberalen Muslime kommen in der politischen Wahrnehmung gar nicht vor. Die Deutungshoheit über den Islam wurde von den offiziellen Vertretungen und Verbänden an sich gerissen, die ich für reaktionär und gefährlich halte.“

Die dänische Imamin Sherin Khankan

APA/AFP/Scanpix Denmark/Linda Kastrup

Die Kopenhagener Imamin Sherin Khankar will „die patriarchalischen Strukturen aufbrechen“

Auch Österreich sei betroffen: „Bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft hier, die sehr türkischlastig ist, entdecken Sie viel Unheil, leider auch eine Feindseligkeit gegen die Gesellschaft. Lassen Sie diese nicht als einzige Stimme des Islam sprechen.“ Ates appelliert an die Medien, die sie in der Pflicht sieht, vermehrt liberale Gegenstimmen einzuholen.

Kopftuch als politisches Symbol

Was wenige wissen: In islamischen Gesellschaften hat eine starke Frauenbewegung eine lange Tradition und existiert bis heute. Dabei stand stets der Kampf gegen das Kopftuch im Mittelpunkt. Mangelt es dem Westen an Solidarität mit diesen Feministinnen?

„Ja. Der Westen hat den Blick nicht auf den Frauen in der islamischen Welt, die gegen das Kopftuch kämpfen. Ich solidarisiere mich weltweit mit jenen Frauen, die dafür kämpfen, frei zu sein vom Kopftuch. Es ist ein traditionelles und politisches Symbol. Im Islam gibt es fünf Säulen: den einzigen, wahren Gott und seinen Propheten, Fasten, Beten, Spenden und die Pilgerfahrt - die Hadsch. Daneben kennt der Islam keine religiöse Symbolik. Daher ist das Kopftuch kein religiöses Symbol.“

Wenn selbsternannte Feministinnen das Kopftuch für das Wichtigste hielten, werde die politische Agenda offensichtlich: „Dann frage ich mich, wieweit sie ihre Religion überhaupt verstanden haben. Wenn sich Kopftuchträgerinnen so extrem schminken, wie ich es nie tun würde, dass der Mund wie eine Vagina aussieht, und die Kleidung enganliegend, dass der Busen und der Popo hervortreten: All das steht im Widerspruch für das, wofür das Kopftuch - wenn schon - steht.“ Traditionell diente die Kopfbedeckung Männern wie Frauen zum sittlichen Auftreten in der Öffentlichkeit ebenso wie etwa dem Schutz vor Wind und Wetter.

Trump ein „Volksverhetzer“

Wie beurteilt Ates US-Präsident Donald Trump, der Muslime mittels Muslimbann unter Generalverdacht stellt? „Leider wird der Islam nur mit Terror in Verbindung gebracht und steht für Gewalt. Wie können alle 1,6 Milliarden Muslime Terroristen sein? So weit denkt ein Herr Trump nicht, wenn er überhaupt denkt.“

Das sei „Volksverhetzung und Diffamierung, was er da betreibt. Und absolut unmenschlich. Ich wünsche mir, dass er sich menschlicher mit dem Islam befasst. Er hat eine Liste von Ländern verfasst, deren Staatsbürger US-Einreiseverbot haben. Saudi-Arabien und Katar wurden ganz bewusst nicht auf die Liste gesetzt, weil er mit ihnen weiterhin Geschäfte machen will, ausgerechnet mit jenen, die für den islamistischen Terror verantwortlich sind.“

„Archaischer Islam“

Ates über die Agenda Saudi-Arabiens im Islamgefüge: „Sie sind Wahhabiten und gehören zu den konservativsten Muslimen dieser Welt. Sie verhüllen Frauen komplett, dass nur die Augen zu sehen sind, praktizieren Mehrehe, Frauen dürfen nicht Auto fahren. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist dort am wenigsten vorangeschritten. Ein sehr archaischer Islam wird da gelebt.“

Und er werde auch exportiert, sagte Ates: „Sie haben sehr viel Geld, um diese Form des Islam weltweit zu verbreiten. Es ist ihr Interesse, dass der Wahhabismus als der wahre Islam in die Welt getragen wird. Deshalb finanzieren sie überall auf der Welt Moscheen und Institutionen, die diesen wahhabitischen Islam verbreiten. Gleichzeitig sind sie Geldgeber für die Terrororganisation Al-Kaida gewesen und andere rechtsgerichtete islamistische Strömungen.“ Aufgrund des Reichtums seien Vertreter des Wahhabismus in der Lage, Waffen zu kaufen und jenen Leuten, die einen orthodoxen Islam verbreiten, finanzielle Unterstützung zu geben.

Mut gehört dazu

Woher die Anwältin ihren Mut nimmt, dem Extremismus so entschlossen entgegenzutreten? Immerhin wurde auf sie bereits ein Attentat verübt. Sie musste nach Morddrohungen sogar ihre Kanzlei kurzfristig schließen. „Die Welt ändert sich. Ich bin seit dem arabischen Frühling als Einzelperson nicht mehr im Fokus, es ist eine Bewegung geworden. Und dann sehe ich meine Mandantinnen und wie viel Elend da ist. Die brauchen so eine Anwältin wie mich. Und vor allem ist da die Sicherheit, dass diese Welt immer von wenigen Menschen verändert wurde; und mein tiefer Glaube an Gott, der schon dafür sorgt, dass ich das Richtige mache. Vor allem der trägt mich.“

Neben ihrer Arbeit lernt sie Arabisch und will Islamische Theologie studieren, sobald das Fach an der Berliner Universität angeboten wird. Was sie als Imam-Schülerin besonders berührt hat: "Dass meine Mama gesagt hat, sie wird bei der Moschee-Eröffnung dabei sein. Ich habe ihr gesagt: ‚Aber Mama, wir tragen kein Kopftuch!‘ Sie hat geantwortet: ‚Na und? Ich komme trotzdem!’“ Ates‘ Mutter, die dafür extra aus der Türkei anreist, ist wie alle anderen - auch mit Kopftuch - herzlich willkommen in der neuen Moschee der Menschlichkeit.

Nadja Sarwat, für religion.ORF.at

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