Intersex: Die Bibel und das „dritte Geschlecht“

Intersexualität bedeutet, dass ein Mensch nicht eindeutig weiblich oder männlich ist. Intersex-Aktivisten wünschen sich unter anderem eine neue, dritte Kategorie für das Personenstandsgesetz. Ein komplexes Thema – auch aus theologischer Perspektive.

Das Thema Intersex war in den letzten Monaten immer wieder medial präsent: Im Jänner etwa bekannte sich das belgische Model Hanne Gaby Odiele öffentlichkeitswirksam dazu, intersexuell zu sein. Und Anfang April kam in Wien die europäische Intersex-Bewegung zu einer großen, internationalen Konferenz zusammen. Außerdem hat sich zuletzt die Bioethikkommission mit dem Thema beschäftigt – die Stellungnahme steht allerdings noch aus.

Der belgische Model Hanne Gaby Odiele

APA/AFP/Patrick Kovarik

Das belgische Model Hanne Gaby Odiele bekennt sich öffentlich zu seiner Intersexualität

Tabuthema Intersex: Bis zu 1,7 Prozent betroffen

Dabei ist Intersexualität nach wie vor gesellschaftlich tabuisiert. Denn: Intergeschlechtliche Menschen passen so gar nicht in unsere normierte Geschlechtervorstellung. Sie sind weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht biologisch eindeutig zuordenbar. Je nach genauer Definition sind bis zu 1,7 Prozent der Bevölkerung „auf die eine oder andere Weise intergeschlechtlich“, heißt es in einem Statement der Plattform Intersex Österreich.

Trotzdem gibt es kaum offene Diskussionen zum Thema. Und der Diskurs ist vor allem medizinisch dominiert. So wird Intergeschlechtlichkeit als eine Art Entwicklungsstörung betrachtet, die es zu behandeln gilt. Wird Intersexualität nach der Geburt entdeckt, kommt es tatsächlich schon bei Säuglingen oder Kleinkindern häufig zu irreversiblen chirurgischen Eingriffen.

Keine Zwangsbehandlung, dritte Kategorie

Die Forderungen der österreichischen Intersex-Aktivisten vom Verein VIMÖ und der Plattform Intersex sind klar: Zum einen sollen medizinisch nicht notwendige Eingriffe und Behandlungen an intergeschlechtlichen Menschen keinesfalls durchgeführt werden, bevor diese in der Lage sind, selbst und bewusst mitzuentscheiden. Zum anderen will man Intersexualität enttabuisieren und einen flexibleren Umgang mit dem Personenstandsgeschlecht erreichen.

Der Mensch als Abbild Gottes

Es geht also um die Einführung einer Art „dritten Geschlechts“. Gesellschaftspolitisch und juristisch ein schwieriges Thema. Wie aber sieht es aus, wenn man sich dem theologisch annähert? Die Bibel scheint auf den ersten Blick die Möglichkeit eines weiteren Geschlechts recht klar auszuschließen. Schließlich heißt es schon in der Genesis: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild (...). Als Mann und Frau schuf er sie“ (1Mo 1,27).

Adam und Eva auf einem Gemälde von Lukas Cranach d. Ä. (1472 bis 1553), Bildausschnitt

Public Domain

Die Genesis sagt recht deutlich: Gott schuf den Menschen als Mann und Frau („Adam und Eva“ von Lukas Cranach d. Ä. (1472 bis 1553)

„Auf einer anthropologischen Ebene sperrt sich natürlich gerade die christliche Religion gegen die Idee von ‚mehreren‘ Geschlechtern“, sagt denn auch der Grazer Moraltheologe Walter Schaupp dazu im Interview mit religion.ORF.at – und verweist, siehe oben, auf die vielzitierte Genesis. Dort wird ja, sozusagen, Heterosexualität als Norm bestätigt.

Bilderverbot: Gott hat kein Geschlecht

Doch wie Theologe Schaupp zugleich betont, steht Gott „jenseits jeder menschlichen Geschlechtszugehörigkeit“. „In der Entstehung hat der jüdische Glaube dezidiert ein Gottesbild entwickelt, das sich abgrenzt gegen die Götter der Umweltkulturen, die eindeutig männlich und weiblich waren – und die oft auch ein sexuelles Verhalten zeigten, die sexuelle Begierden hatten.“

Dagegen ist der Gott Israels „transzendent, kann und darf nicht gesehen werden. Er hat keinen Leib, und von ihm darf es auch kein Gottesbild geben“, so Schaupp weiter. Das Bilderverbot ist also eine ganz zentrale Vorstellung in der jüdischen Tradition. Und Gott hat demzufolge auch kein Geschlecht.

Pluralität als inhärenter Sinn der Schöpfung

Trotzdem: Eine zusätzliche Geschlechterkategorie, kann man das denn positiv argumentieren? Schaupp geht das Thema Intersex zunächst einmal schöpfungstheologisch an: „Der gottgewollte Sinn von Schöpfung besteht evolutiv in einer zunehmenden Pluralisierung und Artenvielfalt“, sagt er. Es geht also darum, den Sinn von Diversität in der Schöpfung besser zu verstehen.

Eine Geschlechterstereotypie, die die vorhandene Pluralität intergeschlechtlicher Menschen negiert, könnte man so ablehnen als „nicht im Sinne Gottes“, meint der Moraltheologe. Mit anderen Worten: Man kann Pluralität und Differenz als einen der christlichen Schöpfung inhärenten Sinn begreifen, wenn man sich die Welt in all ihrer Vielfalt und mit all ihren Differenzen ansieht.

Von Gott gewollt, von Gott gemeint

Ganz ähnlich argumentiert der evangelische Theologe Ulrich Körtner gegenüber religion.ORF.at. Auch er zieht den Schöpfungsbegriff heran und sagt: „Wer mit Schöpfung gemeint ist, das kann nicht fundamentalistisch aus der Bibel hergeleitet werden.“ Gleiches gilt nach Körtner übrigens auch in umgekehrter Richtung: Man könne auch nicht einfach die moderne, naturwissenschaftliche Sicht der Welt nehmen und zusätzlich mit dem Begriff Schöpfung deuten.

Eine Feige und ein Feigenblatt

Getty Images/Jose A. Bernat Bacete

Das Feigenblatt diente Adam und Eva gemäß biblischer Überlieferung zur Verhüllung ihrer Geschlechtsteile

Körtner jedenfalls konstatiert ganz grundsätzlich ein „anthropologisches Umdenken“, das auch in Bezug auf und in der Diskussion um Intersexualität zum Tragen kommen kann: „Wer von einem Menschen geboren wird, ist als Mensch anzuerkennen; und, theologisch gesprochen, als Geschöpf Gottes und Ebenbild Gottes anzunehmen. Wie immer die Besonderheiten eines Menschen sein mögen.“

Gott selbst gibt uns demzufolge zu verstehen, dass es noch mehr zwischen Himmel und Erde gibt als nur die zwei in der Genesis erwähnten Geschlechter. Von einer theologischen Warte her betrachtet sei ihm vor allem wichtig, so der evangelische Theologe weiter, dass jedem menschlichen Individuum zugesprochen werde, „von Gott gewollt und auch so von Gott gemeint zu sein“.

Christlicher Imperativ zur Leidminderung

Der Moraltheologe Schaupp sieht darüber hinaus auch die Möglichkeit eines christlichen Zugangs zum Thema Intersexualität, wenn es um die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz geht. Er spricht von der „christlichen Pflicht zu Leidminderung und Inklusion“. Denn: „Wenn Menschen unter Zwangszuschreibungen leiden, wenn sie aufgrund bestimmter Merkmale marginalisiert werden, ergibt sich ein christlicher Imperativ, das Leid zu mindern und sie in die Gemeinschaft hereinzuholen“, so Schaupp.

Die Idee ist also, dass es zur Aufgabe des Christentums gehört, für Leidminderung und Leidüberwindung einzutreten. Diese Idee im Sinne einer „christlichen Caritas“, einer tätigen Liebe – sei „sehr zentral und sozusagen identitätsstiftend für das jüdisch-christliche Gottesbild“, so der Moraltheologe weiter. Gott also als einer, der Leid und Unrecht überwindet. Schaupp leitet dieses Bild her aus der Exodus-Tradition, dem Auszug aus Ägypten. Demzufolge ist Gott Jahwe ein befreiender Gott. Eben einer, der auch von Leid und Unrecht befreit.

Wenn man sich also auf dieses Gottesbild bezieht und auf den darin enthaltenden Auftrag beruft, dann folgt daraus: Wenn intergeschlechtliche Menschen „aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale, ihrer Identität exkludiert werden, leiden, unterdrückt werden, dann ist das ein Motiv, sich als Christ dafür zu engagieren, das aufzuheben“, meint der Moraltheologe.

Denn ihr alle seid „einer“

Und zum Abschluss lohnt dann vielleicht doch noch ein letzter, prüfender Blick in die Bibel. In das Neue Testament, um genau zu sein. Denn in Christus sind am Ende sämtliche (vermeintlichen) Unterschiede zwischen den Menschen aufgehoben: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus“ (Gal 3,28).

Sabine Aßmann, für religion.ORF.at

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