Die Frau, die eine Moschee gründete

Die deutsche Imamin, Juristin und Frauenrechtlerin Seyran Ates erzählt in ihrem aktuellen Buch „Selam, Frau Imamin“ von ihren Vorstellungen von einem aufgeklärten Islam - und davon, wie sie auf die Idee kam, in Berlin eine Moschee zu gründen.

Das öffentliche Bild von Muslimen nicht länger den Konservativen überlassen - das ist Seyran Ates’ Mission und Forderung. Die 54-jährige, in Istanbul geborene Deutsche will mit der Eröffnung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee am Freitag einen „Gegenentwurf zu den konservativen und fundamentalistischen Strömungen im Islam“ anbieten. In der „liberalen“ Moschee sollen Männer und Frauen, Sunniten, Schiiten, Aleviten und Sufis gemeinsam und gleichberechtigt beten und predigen können.

Seyran Ates in ihrer neu eröffneten Moschee in Berlin

APA/AP/Michael Sohn

Seyran Ates in ihrer neu eröffneten Moschee in Berlin

Liberalen Muslimen eine Stimme geben

Angesichts der „grausamen islamistischen Anschläge mit zahllosen unschuldigen Opfern“ scheine es nahezu unmöglich, eine Lanze für einen friedlichen Islam zu brechen, schreibt Ates im Vorwort von „Selam, Frau Imamin“.

Einen Versuch unternimmt sie trotzdem, denn „ich glaube an den liebenden, barmherzigen Allah und an das positive Vorbild Mohammeds für alle Muslime. Meine Religion besteht nicht nur aus Gewalt und Angst, davon bin ich fest überzeugt. Ich selbst gehöre zu den vielen friedlichen Muslimen, von deren Existenz man immer wieder hört, die aber kaum jemand zu kennen scheint.“

Seyran Ates

Die Frauenrechtlerin und Anwältin Seyran Ates wurde 1963 in Istanbul geboren und lebt in Berlin. Sie setzt sich gegen häusliche Gewalt, „Ehrenmorde“ und Zwangsverheiratung ein. Ates war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und ist Autorin mehrerer Bücher. Für ihr Engagement erhielt sie immer wieder Morddrohungen.

Islamistische Anschläge schadeten vor allem dem Islam, glaubt Ates: „Wir müssen unsere Religion vor diesen Fanatikern retten!“ Sie nimmt die Moscheevereine in die Pflicht, die mehr gegen Radikalisierung unternehmen sollten, konzediert aber auch, dass „wir modernen, liberalen Muslime uns mit noch größerer Leidenschaft als bisher bemühen sollten, dem zeitgemäßen Islam ein Gesicht zu geben“.

Für kritische Koranexegese

Dazu gehört für die Frauenrechtlerin auch eine kritische Exegese der Glaubensgrundlagen: Ebenso wie die Bibel könne man „den Koran nicht in allen Punkten wörtlich nehmen“. Sie fordert außerdem von den Behörden Europas ein härteres Vorgehen gehen „Hassprediger“ und „radikale Moscheen“.

Für aufgeklärte Muslime sei der Islam selbstverständlich mit der Demokratie vereinbar. Das solle nicht bedeuten, den Islam zu „christianisieren“, sondern vielmehr, „Suren und Hadithe in unsere Zeit zu übersetzen, ohne den Kern unserer Religion zu verändern“.

Geschlechtertrennung beim Beten

Ein großes Anliegen ist Ates eine Auseinandersetzung mit der derzeit üblichen „Geschlechtertrennung“ in Moscheen, wo „den Männern der zentrale Bereich vorbehalten ist und die Frauen entweder im hinteren Teil des Hauptraums hinter einem Paravent oder sogar in einem schmucklosen Nebenraum beten müssen“.

Auch in der großen Sultan-Ahmet-Moschee in Istanbul dürften Frauen nicht in den zentralen Gebetsraum: „Auf einem Schild ist eine durchgestrichene Frau zu sehen. An keinem anderen Ort fühle ich mich aufgrund meines Geschlechts derart diskriminiert, werde ich derart herablassend behandelt wie ausgerechnet in der Blauen Moschee“, so die Imamin. Dabei seien Frauen und Männer vor Allah gleichwertig.

Seyran Ates

APA/AP/Michael Sohn

Seyran Ates

Die patriarchalen Strukturen der monotheistischen Religionen sind für Ates nicht „in Stein gemeißelt“ - auch Musliminnen könnten „eine weitgehende Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen, ähnlich wie es Christinnen und Jüdinnen geschafft haben“. Dazu brauche es eine theologische Auseinandersetzung und Orte, an denen diese stattfinden können, „wie unsere aufgeklärte Ibn-Rushd- Goethe-Moschee“. Hier werden auch Frauen vorbeten können, und zwar - und das ist das wirklich Ungewöhnliche - auch vor Männern.

Mit oder ohne Kopftuch in die Moschee

Frauen seien insgesamt selten in Moscheen anzutreffen, das gemeinsame Gebet mit den Männern gelte vielen überhaupt als unschicklich. Anfangs habe sie, erzählt Ates, mit dem Gedanken gespielt, das Tragen von Kopftüchern in ihrer Moschee zu untersagen. Nun ist es Frauen selbst überlassen, ob sie mit oder ohne Kopfbedeckung in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee beten wollen.

Buchcover Seyran Ates: Selam, Frau Imamin. Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete

Ullstein Verlag

Buchhinweis

Seyran Ates: Selam, Frau Imamin. Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete. Ullstein Verlag, 256 Seiten, 20,60 Euro.

Die Idee, eine Moschee zu gründen, sei über mehrere Jahre ganz allmählich in ihr gewachsen, schreibt Ates. Sie schildert auch ihre Tätigkeit in der Deutschen Islamkonferenz, deren Mitglied sie eine Zeit lang war, bis, wie sie schildert, konservativen Islamverbänden wie DITB die „Deutungshoheit“ zugestanden worden sei. An dem Verband lässt Ates kein gutes Haar: Von der Türkei gesteuert, lasse DITIB auch in den eigenen Reihen keine liberalen Strömungen zu.

„Crashkurs Islam“

Ihre Gedanken und Vorschläge zur Radikalisierung junger muslimischer Männer und zur Frage, was man dagegen tun könnte, legt Ates ebenso dar wie eine Analyse der Türkei in der Ära Erdogan. Sie erklärt in einer Art „Crashkurs Islam“ auch einige der wichtigsten Eckpunkte des Islams wie die Fünf Säulen und den Hadsch. Auch einen Abriss über Mohammeds Leben und die Auslegung der von ihm überlieferten Taten und Aussprüche (Hadithen) bietet das Buch. Dabei versucht Ates stets, das Potenzial zu Reform, Gleichberechtigung und Liberalität, das im Koran wie in den Hadithen zu finden ist, hervorzuheben.

„Endlich in der Moderne ankommen“

Die Außenwirkung des Islams und der Muslime, wie sie in der öffentlichen Meinung derzeit vorherrscht, möchte Ates verändern: „Das Bild, das Menschen islamischen Glaubens inzwischen weltweit abgeben, ist alles andere als schön“: „Muslim“ werde vielfach gleichgesetzt mit „Terrorist“.

Dagegen müssten liberalere wie auch konservative Muslime gemeinsam angehen und sich deutlicher zu Wort melden. Für in Europa lebende Musliminnen und Muslime erachtet die Autorin ein Bekenntnis zu diesem Europa als unverzichtbar. „Die islamischen Gesellschaften müssen sowohl als Gemeinschaft gläubiger Individuen als auch in rechtlicher und politischer Hinsicht endlich in der Moderne ankommen.“

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

Mehr dazu:

  • Buch: Philosophische Impulse in Zeiten von Corona
    Sechzehn fiktive Gespräche gewähren Einblick in die Gedankenwelt des österreichischen Theologen und Philosophen Clemens Sedmak während des Corona-bedingten Lockdowns. Ein Buch über Umbrüche, Freiheiten und Verantwortungen.
  • Film: Ein Ex-Häftling als Priester
    Ein Ex-Häftling gibt sich in einem Dorf als Priester aus und kommt mit seinem ungewöhnlichen Stil gut an. Der Film „Corpus Christi“ des polnischen Regisseurs Jan Komasa, der am Freitag in die österreichischen Kinos kommt, beruht auf einer wahren Begebenheit.
  • Buch über Kaiser Franz Joseph als Pilger nach Jerusalem
    Kaiser Franz Joseph I., dem Gründervater des Österreichischen Hospizes, widmet dessen aktueller Rektor Markus Bugnyar ein Buch. Unter dem Titel „Reise nach Jerusalem“ beleuchtet der österreichische Priester den Kaiser als Pilger.
  • Lehrgang: Suche nach zeitgemäßer Spiritualität
    Ein im Oktober startender Lehrgang befasst sich an unterschiedlichen Veranstaltungsorten in Österreich mit der Suche nach einer „radikal zeitgenössischen christlichen Spiritualität“.
  • Jubiläumsausstellung im Eisenstädter Diözesanmuseum
    Mit einer doppelten Jubiläumsausstellung hat das Diözesanmuseum Eisenstadt nach der Pause wegen des Coronavirus wieder geöffnet: Mit einer neuen Schau zu 60 Jahre Diözese Eisenstadt und 100 Jahre Land Burgenland.
  • Lizz Görgl unterstützt Gottesdienstbehelf mit Lied
    „Zu mir“ - so lautet der neue Song von Skistar Lizz Görgl, die nach Beendigung ihrer aktiven Sportkarriere als Sängerin tätig ist, und dieses Lied zum jetzt erschienen Gottesdienstbehelf der Diözesansportgemeinschaft Österreichs (DSGÖ) beigesteuert hat.
  • Die Macht des Leidens in der Kunst
    Mit Verzögerung ist die Jahresausstellung des niederösterreichischen Stifts Klosterneuburg gestartet. Die Schau „Was leid tut“ zeigt, wie machtvoll das Bild des Leidens die (christliche) Kunst seit Jahrhunderten durchdringt.
  • Jan Assmann spricht über „Religion und Fiktion“
    Der deutsche Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann (81) wird im Herbst einer der namhaften Vortragenden beim diesjährigen „Philosophicum Lech“ von 23. bis 27. September sein.
  • NÖ: Stift Altenburg feiert verzögerten Saisonbeginn
    Vom Frühling bis in den Herbst öffnet das Benediktinerstift Altenburg bei Horn in Niederösterreich gewöhnlich seine barocken Räumlichkeiten für Besucherinnen und Besucher. Im Coronavirus-Jahr 2020 startet die Saison mit Verspätung.
  • Stift Kremsmünster zeigt „50 Jahre Mission in Brasilien“
    „50 Jahre Mission in Brasilien“: Auf den Zeitraum 1970 bis 2020 blickt eine Sonderausstellung im oberösterreichischen Stift Kremsmünster zurück, die sich mit der Mission von Benediktinerpatres und Schwestern in der brasilianischen Diözese Barreiras beschäftigt.