Wer führt in Versuchung? Debatte geht weiter

Die adventliche Debatte über das Gottesbild, die Papst Franziskus durch seine Äußerung zur Vaterunser-Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“ angefacht hat, geht weiter.

Wer führt eigentlich in Versuchung? Gott, der Teufel oder wir selbst - so die Frage, zu der sich jetzt weitere Fachleute aus Systematischer Theologie und Bibelwissenschaft geäußert haben: der Innsbrucker Dogmatiker Jozef Niewiadomski, sein Salzburger Kollege Hans-Joachim Sander, der Heidelberger Bibelwissenschaftler Klaus Berger und auch der Wiener reformierte Theologe Ulrich Körtner brachten ihre Überlegungen in die kontroversielle Diskussion ein.

Papst-Aussage Auslöser

Papst Franziskus hatte jüngst die französische Übersetzungsanderung von „Ne nous soumets pas a la tentation“ (dt.: „Unterwerfe uns nicht der Versuchung“) zu „Ne nous laisse pas entrer dans la tentation“ („Lass uns nicht in Versuchung geraten“) positiv gewürdigt: Denn nicht Gott als ein guter Vater führe den Menschen in Versuchung, sondern der Satan.

Vaterunser

Kathpress/Henning Klingen

Derzeit stark in der Diskussion: Das Vaterunser

Die zuletzt „emsig diskutierte“ Frage nach der Korrektheit der Übersetzung gehe am Kern der Sache vorbei, so Niewiadomski in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress. Franziskus habe demgegenüber auf die tiefer liegenden theologischen Probleme hingewiesen und sich dabei auf den Weltkatechismus bezogen: Dort heißt es unter Zitierung des Jakobusbriefes: Gott „führt auch selbst niemand in Versuchung“ (Jak 1,13).

Dogmatiker: „Mutiger Schritt“

Der Dogmatiker würdigte den „mutigen Schritt“ des Papstes, erstens über den eigentlichen Inhalt des zentralen christlichen Gebets nachzudenken und zweitens die „Frage nach den dämonischen Seiten des Gottesbildes“ zu stellen.

Wenn Franziskus „die Versuchung eindeutig dem Teufel, die Rettung und die Heilung eindeutig Gott zuordnet“, falle er keineswegs einem dualistischen Weltbild zum Opfer oder stelle die Letztverantwortung Gottes für die Geschichte in Frage, entgegnete Niewiadomski auf entsprechende Bedenken.

Körtner: „Bestürzend schlichte Erklärung“

Ganz anders die Einschätzung des evangelischen Systematischen Theologen Ulrich Körtner. In einem Gastkommentar für die „Presse“ (Donnerstag-Ausgabe) nennt er die Aussage des Papstes, Gott könne einen Menschen nicht in Versuchung führen, denn „ein Vater tut so etwas nicht“, eine „bestürzend schlichte theologische Erklärung“.

Ulrich Körtner

ORF

Der evangelische Theologe Ulrich Körtner

Diese Sichtweise passe zu einem „modernen Mainstream-Christentum“, das den biblischen Gott von allen verstörenden Zügen reinigen wolle. „Das Gottesbild wird nach den Maßstäben heutiger Moral passend gemacht und die Theodizeefrage - die Frage also nach Gottes Güte und Gerechtigkeit angesichts des Bösen und des Leidens - durch fromme Floskeln überdeckt“, kritisierte Körtner.

Letztlich kein Unterschied

Theologisch mache es letztlich keinen wirklichen Unterschied, ob Gott einen Menschen aktiv in Versuchung führen oder durch Unterlassen in Versuchung geraten lassen könnte. Für Körtner spielt beim Thema auch die Ökumene eine Rolle: Es sei ein großer Fortschritt gewesen, als sich die Kirchen in den 1970er-Jahren auf die heute gültige ökumenische Fassung des Vaterunsers geeinigt haben. „Dieses hohe Gut sollte nicht durch fragwürdige Übersetzungsversuche aufs Spiel gesetzt werden.“

Nicht selbstverständlich, ja „sogar anstößig“ klinge es heute, von Gott in Zusammenhang mit „Versuchung“ zu sprechen, bezog sich auch der Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander am Donnerstag auf den christlichen „Mainstream“.

In einem Beitrag für die theologische Feuilleton-Website feinschwarz.net schrieb er, es brauche keinen Gott dafür, uns in Versuchung zu führen: „Das schaffen wir ganz alleine.“ Das „übersieht“ die laufende Gottesbild-Debatte fast vollständig, meinte Sander. Aber: „Nur Gott ist fähig, die Versuchung zu begrenzen und unschädlich zu machen, in die er hineinführt, weil er nun einmal Gott ist.“

„Eigentlichen Sinn der Bitte sehen“

Gegen zuletzt auch in Österreich vorgebrachte Bedenken gegen eine mögliche Neuformulierung der „korrekt“ ins Deutsche übersetzten Vaterunser-Bitte stellte sich der Heidelberger Bibelwissenschaftler Klaus Berger am Mittwoch hinter Papst Franziskus: Die Passage „Und führe uns nicht in Versuchung“ sollte besser heißen „Und lass uns nicht in Versuchung geraten“, schrieb Berger in einem Beitrag für „Die Tagespost“.

Berger findet es „naiv zu behaupten, die traditionelle deutsche Übersetzung sei noch immer genau das, was Jesus gemeint habe, weil sie wörtlich sei“. Dieses Beharren „hilft gar nichts, wenn normale Menschen daraus die falschen Schlüsse ziehen“. Eigentlicher Sinn der Vaterunser-Bitte sei: „Herr, verschone uns vor Situationen, denen wir nicht gewachsen sind.“

religion.ORF.at/KAP

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