Jesuit: Afghanistan kein sicheres Herkunftsland

Der ehemalige Chef des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes JRS, Peter Balleis, fordert von EU-Staaten wie Österreich und Deutschland ein Umdenken bei der Abschiebung von abgelehnten Asylwerbern nach Afghanistan.

Der Staat sei „definitiv kein sicheres Herkunftsland“, sagte Balleis in einem Interview der katholischen Nachrichtenagentur „Kathpress“ in Wien. Besonders junge Menschen seien nach ihrer Rückkehr noch gefährdeter als der Rest der Bevölkerung, erklärte der aktuelle Leiter des Bildungsprogramms „Jesuit Worldwide Learning“ (JWL).

Gefährlich werde es für junge abgeschobene Afghanen vor allem dann, wenn Familie und Bekannte nicht in den „einigen wenigen friedlichen Gebieten“ Afghanistans wohnen. „Junge Leute haben, anders als Politiker, Diplomaten oder ich, kein Geld für Direktflüge in sichere Gebiete“, sagte der Jesuitenpater.

Migration „Retourkutsche“

Von den Abschiebungen seien zudem oft integrierte junge Flüchtlinge in Ausbildung betroffen und „eine Abschiebung kostet ja auch Geld“, gab Balleis zu Bedenken. Er hoffe, dass „die Menschen bald einsehen, dass wir uns durch diese Abschiebungen einen großen Wissensverlust zufügen“. Junge ausgebildete Menschen seien die „Zukunft und die Lösung“, so der Jesuit. Darum sei Ziel des JWL „kritische, lösungsorientierte Persönlichkeiten auszubilden“, nur das sei „der Schlüssel zum Frieden“.

Balleis ortet unter den Europäern die verbreitete Angst vor einem von Globalisierung und Vernetzung verursachten Identitätsverlust. Die aktuellen Migrationsentwicklungen sind für ihn aber auch eine Art „Retourkutsche“ für die Menschen in Europa, denn „zuerst zeigt man jahrzehntelang seinen Reichtum, reist in ärmere Länder und dann wundert man sich“. Er verstehe aber, so Balleis, dass die weltweiten Konfliktherde den Menschen in Europa Angst machten. Denn „dafür kann keiner was, weder die Europäer, noch die Betroffenen in den Krisenländern“.

Investition in Bildung wichtig

Einzig sinnvolle Lösung sei in dieser Situation „an der Seite der Opfer“ zu stehen und nicht an der Seite „des Kapitalismus und Mainstream“. Dieser Weg sei für viele zwar der „unbequemere“, da man vieles ändern müsse. Die Investition in die Bildung etwa von jungen Flüchtlingen sei trotzdem nachhaltiger und lösungsorientierter, als die „kapitalistischen Tugenden: mehr, weiter oder besser“, sagte der Leiter von „Jesuit Worldwide Learning“.

Ein Schulkind schreibt an einem Tisch sitzend

APA/AFP/Arif Ali

Investitionen in die Bildung bezeichnet der Jesuit Peter Balleis als sinnvoller als die „kapitalistischen Tugenden: mehr, weiter, besser“

Studieren im Flüchtlingslager

Balleis berichtete im Kathpress-Gespräch von Erfolgen des 2010 gestarteten digitalen JWL-Bildungsprogramms „Higher Education at the Margins“ zur Hochschulbildung für Flüchtlinge und Benachteiligte weltweit. Daran nehmen allein in Kenia, Malawi und Syrien 150 Studierende großteils aus Flüchtlingscamps teil. Insgesamt studieren in den multi-ethnischen und multi-religiösen Lerngruppen rund 360 Menschen aus 20 Nationen in knapp 45 Lernzentren an insgesamt 17 Standorten, wie Afghanistan, Nepal, Sambia oder dem Irak.

Die Studierenden können durch die Zusammenarbeit mit Universitäten auch einen Abschluss „Diploma of Liberal Arts“ erhalten. „Und mehr als 3.000 weitere junge Frauen und Männer machen aktuell Sprachkurse oder nutzen berufsbildende Angebote“, schilderte Balleis.

Geflüchtete als „neue Weltbürger“

Bildung sei Macht und „der Schlüssel zum Frieden“, betonte der Jesuit. Seine Studierenden würden einmal nicht der Propaganda oder der Frustration folgen, so seine Hoffnung. Er sieht in der Ausbildung junger benachteiligter Menschen eine nachhaltige Lösung für Konflikte. „Die Flüchtlinge kommen aus Krisenregionen und wollen die Dinge verbessern. Sie sind die einzig wirksame Strategie gegen korrupte Politiker“, so der Ordensmann.

Zielgruppe seien alle „marginalisierte Gruppen, nicht nur Flüchtlinge“, erklärte Balleis. Für den Jesuiten ist die Kombination aus Onlinekursen, Tutoren und Lerngruppen der entscheidende Erfolgsfaktor für das Programm. So könnten auch „junge Leute studieren, die sonst niemals Zugang zu einer Universität gehabt hätten“, meinte der Leiter des JWL. Das Internet mache das Programm erst möglich, denn „heute studieren die jungen Menschen mit Tablet und Handy“, das machte den Zugang zu Wissen und die weltweite Vernetzung einfacher.

„Diese jungen Menschen haben etwas zu sagen“, ist Balleis überzeugt. Für ihn sind die Studierenden „neue Weltbürger“, die selbst in Flüchtlingslagern über ihre eigenen sozialen und kulturellen Grenzen hinausgehen. „Wer tut das schon bei uns?“, so der Jesuit.

religion.ORF.at/KAP

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