Papst Franziskus auf der Fahrt nach El Cobre bei Santiago de Cuba in Kuba.

EPA/Alejandro Ernesto

Live: Papst-Gottesdienst in Havanna

Höhepunkt des Besuches von Papst Franziskus auf Kuba war der große Gottesdienst auf der Plaza de la Revolución. Der ORF war live dabei, es kommentierten Christoph Riedl-Daser und der Lateinamerikakenner Pater Franz Helm.

Von 19. - 28. September 2015 war das Oberhaupt der Katholischen Kirche auf Kuba zu Gast. Franziskus ist damit nach Johannes Paul II. im Jahr 1998 und Benedikt XVI. im Jahr 2012 der dritte Papst, der in den karibischen Inselstaat flog. Eine Reise, die mit Spannung erwartet worden war - immerhin soll der gegenwärtige Papst hinter den Kulissen als Vermittler einen entscheidenden Beitrag zur jüngsten Annäherung zwischen Kuba und den USA geleistet haben. Zudem sind nicht nur viele Katholikinnen und Katholiken im Land stolz darauf, dass derzeit ein Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri sitzt, auch Staatschef Raul Castro hatte sich bereits mehrmals als Papst-Fan geoutet. „Wenn der Papst weiter so redet, dann fange ich wieder an zu beten und trete wieder in die katholischen Kirche ein“, so Castro nach seiner Audienz bei Papst Franziskus im Mai dieses Jahres.

Für die Menschen, die Frieden stiften

Lesung: Jakobus 3

Wo Eifersucht und Ehrgeiz herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. Doch die Weisheit von oben ist erstens heilig, sodann friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht. Wo Frieden herrscht, wird von Gott für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut. Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten? Doch nur vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. Ihr begehrt und erhaltet doch nichts. Ihr mordet und seid eifersüchtig und könnt dennoch nichts erreichen. Ihr streitet und führt Krieg. Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet. Ihr bittet und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in eurer Leidenschaft zu verschwenden.

Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein

Evangelium: Markus 9

In jener Zeit zogen Jesus und seine Jünger durch Galiläa. Jesus wollte aber nicht, dass jemand davon erfuhr, denn er wollte seine Jünger über etwas belehren. Er sagte zu ihnen: „Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen.“

Aber sie verstanden den Sinn seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch, ihn zu fragen. Sie kamen nach Kafarnaum. Als er dann im Haus war, fragte er sie: „Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?“ Sie schwiegen, denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei. Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“

Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf. Wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“

Die Logik der Liebe

Predigt

Das Evangelium zeigt uns Jesus, wie er seinen Jüngern eine scheinbar indiskrete Frage stellt: „Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?.“ Eine Frage, die er auch uns heute stellen kann. Worüber sprecht ihr täglich? Was sind eure Bestrebungen? „Sie schwiegen“, sagt das Evangelium, „denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer der Größte sei“. Die Jünger schämten sich, Jesus zu sagen, worüber sie gesprochen hatten. Wie bei den Jüngern von damals, kann uns heute dasselbe Thema beschäftigen: Wer ist der Größte?

Jesus besteht nicht auf die Frage, er zwingt sie nicht, ihm zu antworten, worüber sie unterwegs gesprochen hatten, doch seine Frage bleibt nicht nur im Gedächtnis, sondern auch im Herzen der Jünger bestehen. Wer ist der Größte? – Eine Frage, die uns das ganze Leben hindurch begleiten wird, und in den verschiedenen Lebensphasen werden wir herausgefordert sein, sie zu beantworten. Wir können dieser Frage nicht ausweichen; sie ist ins Herz eingraviert. Ich erinnere mich, wie mehr als einmal in Familienzusammenkünften die Kinder gefragt wurden: Wen hast du mehr lieb, Papa oder Mama? Das ist, als fragte man sie: Wer ist wichtiger für euch? Ist diese Frage nur ein einfaches Kinderspiel? Die Geschichte der Menschheit ist durch die Art und Weise, auf diese Frage zu antworten, geprägt worden.

Jesus fürchtet die Fragen der Menschen nicht, er fürchtet weder die Menschheit noch das unterschiedliche Suchen, das diese anstellt. Im Gegenteil, er kennt die Schlupfwinkel des menschlichen Herzens, und als guter Pädagoge ist er bereit, uns immer zu begleiten. Wie es seiner Art entspricht, nimmt er unser Suchen, unsere Bestrebungen an und gibt ihnen einen neuen Horizont. Wie es seiner Art entspricht, gelingt es ihm, eine Antwort zu geben, die fähig ist, eine neue Herausforderung zu stellen, indem er die erwarteten Antworten oder das scheinbar Feststehende aus den Angeln hebt. Wie es seiner Art entspricht, stellt Jesus immer die Logik der Liebe auf. Eine Logik, die von allen gelebt werden kann, weil sie für alle ist. Weit entfernt von jeglichem elitären Gehabe, umfasst der Horizont Jesu nicht nur einige wenige Privilegierte, die fähig sind, zur ersehnten Erkenntnis oder zu verschiedenen Ebenen der Spiritualität zu gelangen. Der Horizont Jesu ist immer ein Angebot für das tägliche Leben, auch hier auf unserer Insel. Ein Angebot, das dem Alltag immer den Geschmack der Ewigkeit verleiht. Wer ist der Größte? Jesus ist in seiner Antwort ganz einfach. Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Wer groß sein will, soll den anderen dienen und nicht sich der anderen bedienen.

Hier liegt die große Paradoxie Jesu. Die Jünger diskutierten darüber, wer den wichtigsten Platz einnehmen werde, wer als Privilegierter auserwählt werden würde, wer vom allgemeinen Recht, von der generellen Norm entbunden sein würde, um sich in einem Streben nach Überlegenheit von den anderen abzuheben. Wer schneller aufsteigen würde, um die Ämter zu besetzen, die gewisse Vorteile mit sich brächten. Jesus bringt ihre Logik durcheinander, indem er ihnen einfach sagt, dass das authentische Leben im konkreten Engagement für den Nächsten gelebt wird. Die Einladung zum Dienst beinhaltet eine Besonderheit, die wir beachten müssen.

Dienen bedeutet großenteils, Schwäche und Gebrechlichkeit zu beschützen, für die Schwachen in unseren Familien, in unserer Gesellschaft, in unserem Volk zu sorgen. Die leidenden, schutzlosen, verängstigten Gesichter sind es, auf die zu schauen und die konkret zu lieben Jesus uns einlädt. Eine Liebe, die in Taten und Entscheidungen Form annimmt. Eine Liebe, die sich in den verschiedenen Aufgaben zeigt, die wir als Bürger entfalten sollen. Wir sind von Jesus aufgefordert, für die Menschen in ihrer Leiblichkeit mit ihrem Leben, ihrer Geschichte und besonders mit ihrer Gebrechlichkeit einzutreten, für sie zu sorgen und ihnen zu dienen. Denn Christ zu sein schließt ein, der Würde der Mitmenschen zu dienen, für die Würde der Mitmenschen zu kämpfen und für die Würde der Mitmenschen zu leben. Darum sind die Christen immer aufgefordert, im konkreten Blick auf die Schwächsten ihr Suchen, ihr Streben und ihre Sehnsucht nach Allmacht auszublenden. Es gibt einen Dienst, der dienlich ist, doch wir müssen uns hüten vor dem anderen Dienst, vor der Versuchung des Dienstes, der sich bedient. Es gibt eine Form, den Dienst auszuüben, deren Interesse darin besteht, die Meinen zu begünstigen im Namen des Unsrigen. Dieser Dienst lässt die Deinen immer draußen und schafft eine Dynamik der Ausschließung.

Alle sind wir aufgrund der christlichen Berufung zu dem Dienst aufgefordert, der dienlich ist, und dazu, einander zu helfen, nicht den Versuchungen zum Dienst, der sich bedient, zu erliegen. Alle sind wir von Jesus eingeladen und angeregt, uns aus Liebe wechselseitig umeinander zu kümmern. Und das, ohne zur Seite zu blicken, um zu sehen, was der Nachbar tut oder zu tun unterlassen hat. Jesus sagt uns. Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Er sagt nicht: Wenn dein Nachbar der Erste sein will, soll er dienen. Wir müssen uns vor dem beurteilenden Blick hüten und uns entschließen, an den verwandelnden Blick zu glauben, zu dem Jesus uns einlädt.
Diese Haltung, uns aus Liebe umeinander zu kümmern, läuft nicht auf Servilität und Unterwürfigkeit hinaus, sondern stellt im Gegenteil in den Mittelpunkt der Frage den Mitmenschen und Bruder: Der Dienst schaut immer auf das Gesicht des Bruders oder der Schwester, berührt seine Leiblichkeit, spürt seine Nähe und in manchen Fällen sogar das “Kranke“ und sucht, ihn zu fördern. Darum ist der Dienst niemals ideologisch, denn man dient nicht Ideen, sondern man dient den Menschen.

Das heilige gläubige Gottesvolk, das seinen Weg in Kuba geht, ist ein Volk, das Freude hat am Fest, an der Freundschaft und am Schönen. Es ist ein Volk, das singend und lobpreisend vorangeht. Es ist ein Volk, das Wunden hat wie jedes Volk, das aber versteht, mit offenen Armen da zu sein, ein Volk, das voller Hoffnung voranschreitet, denn es ist zu Großem berufen. Heute lade ich euch ein, diese Berufung zu pflegen, diese Gaben zu pflegen, die Gott euch geschenkt hat, aber ich möchte euch auffordern, euch in besonderer Weise der Schwäche eurer Brüder und Schwestern anzunehmen und ihnen zu dienen. Vernachlässigt sie nicht aufgrund von Vorhaben, die sich als verführerisch erweisen können, aber das Gesicht dessen, der neben euch steht, nicht beachten. Wir kennen und bezeugen die unvergleichliche Kraft der Auferstehung, die überall Keime dieser neuen Welt hervorbringt. Vergessen wir die frohe Botschaft von heute nicht! Die Größe und Bedeutung eines Volkes, einer Nation, die Größe einer Person beruht immer auf der Art, wie man der Schwäche und Gebrechlichkeit der Mitmenschen dient. Darin begegnen wir einer der Früchte einer wahren Menschlichkeit. Wer nicht lebt, um zu dienen, versteht nicht zu leben.

Kommentar

Christoph Riedl-Daser
Franz Helm

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Thomas Bogensberger