Die Sprache der Verachtung – Novemberpogrome

Albert Camus verstand sein Schriftsteller-Sein als Auftrag, für die zu sprechen, die es nicht vermögen, sagt Hans Schelkshorn in den Gedanken für den Tag.

In seiner Nobelpreisrede von 1957 umschreibt Camus die Aufgabe des Schriftstellers als einen „Dienst an der Wahrheit und an der Freiheit. Konkret bedeutet dies, „nach bestem Können für die zu sprechen, die es nicht vermögen.“ Der Dienst an der Wahrheit bedeutet einerseits in klaren Worten, andererseits ohne Verachtung zu sprechen. Denn „jede Form von Verachtung, in die Politik eingedrungen, bereitet“, nach Camus, „den Faschismus vor oder führt ihn ein. Der Faschismus ist in der Tat die Verachtung“.

„Unfassbare Orgie der Gewalt“

In diesen Tagen jähren sich zum 75. Mal die von den Nazis organisierten Novemberpogrome, in der sich im damaligen Reichsgebiet gegen jüdische Mitbürger eine unfassbare Orgie der Gewalt entlud. Allein in Wien wurden über 1400 Synagogen und Bethäuser zerstört, 4600 jüdische Mitbürger verhaftet, der Großteil davon ins KZ-Dachau abtransportiert; Wohnungen und Geschäfte geplündert oder zerstört.

Hans Schelkshorn

ist Philosoph und römisch-katholischer Theologe

In den Novemberpogromen verwandelte sich die Sprache der Verachtung gegenüber jüdischen Mitbürgern in brutale Gewalt. Doch der Nährboden war schon vorhanden. Denn die Sprache der Verachtung ist gerade in Wien lange vor Hitlers Einmarsch zu einem festen Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden.

Aufgabe für Generationen

Christen und Christinnen fragen sich heute voller Scham, warum damals nur wenige, wie zum Beispiel der Berliner Pfarrer Bernhard Lichtenberg, für die gesprochen haben, die in äußerster Not nicht mehr sprechen konnten. Bernhard Lichtenberg betete in der Zeit der Novemberpogrome an jedem Sonntag öffentlich für alle Verfolgten, gleich welchen Glaubens.

Albert Camus sah seine Generation vor die Aufgabe gestellt, „ein weniges von dem, was die Würde des Lebens und des Sterbens ausmacht, wiederherzustellen“. In diesem Sinn müssen wir uns selbst fragen, ob die Mehrheitsgesellschaft der Sprache der Verachtung gegenüber Juden, aber auch gegenüber Ausländerinnen, Migrantinnen oder Roma, heute „nach bestem Können“ und mit klaren Worten entgegentritt.

Hans Schelkshorn am 9.11. in den Gedanken für den Tag:

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Musik:

Robert Schumann
3 Fantasiestücke für Klavier und Klarinette op.73

Interpreten:
Ricardo Requejo/Klavier
Thomas Friedli/Klarinette