„November-Liebe“

Ein verliebter Mensch tut Dinge, die er unter „normalen“ Umständen kaum tun würde - die Liebe ist der Raum, in dem sich der Mensch das Recht nimmt, außergewöhnlich zu sein, sagt Mirja Kutzer.

Mirja Kurzer am 11.11. in den Gedanken für den Tag:

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Wenn am heutigen 11.11. Menschen den Martini-Tag begehen, dann feiern sie damit im Grunde auch die geteilte Liebe, wie sie in der Geschichte vom Soldatenmantel zum Ausdruck gebracht wird. Martin von Tours soll ihn mit seinem Schwert zerschnitten und die eine Hälfte einem frierenden Bettler gegeben haben. Nächstenliebe. So weit so klar. Viel weniger klar verhält es sich freilich mit der erotischen Liebe und mit dem „Verliebtsein“.

Porträt von Mirja Kutzer

Mirja Kutzer

Mirja Kutzer ist Germanistin und katholische Theologin

Gefährliche Liebe

Wenn ein Mensch in den anderen verliebt ist, will er ihn dann besitzen oder sich ihm hingeben? Sucht der Verliebte etwas Gutes für sich selbst, oder ist seine Liebe uneigennützig? Finde ich schließlich in der Liebe mein wahres Ich oder drohe ich, mich in ihr zu verlieren?

Den Dichtern galt die Liebe von jeher als etwas Gefährliches. Sie erzählen die Geschichten von den großen Leidenschaften, die die gesellschaftlichen Spielregeln außer Kraft setzen. Anna Karenina verlässt nicht nur ihren Mann, sondern auch ihre angesehene Rolle in der Moskauer Gesellschaft.

Sie heiratet den jungen und dynamischen Offizier Graf Wronskij. Kaum „hat“ sie ihn, plagt sie die Angst vor dem Verlust – mit einem ähnlich tödlichen Ende wie es Goethes Werther gefunden hat. Werther hat bekanntermaßen zum Revolver gegriffen, und sein fiktionaler Selbstmord fand reale Nachahmer.

Liebe als Raum für das Außergewöhnliche

Natürlich sind diese „Figuren der Liebe“ auch viel banaler: Der Verliebte kreist um das Telefon und wartet auf den Anruf der Angebeteten. Die Liebende beginnt die ganze Welt nach Zeichen des Schicksals abzusuchen und reißt die berühmten Blumenblätter ab – er liebt mich, er liebt mich nicht. Offenbar tut der verliebte Mensch Dinge, die er unter normalen Umständen kaum tun würde. Sein Verstand scheint vernebelt, sein Wille hat einen Schwächeanfall.

Doch was als Schwäche erscheint, ist auch eine der größten Stärken des Menschen. In der Liebe wird deutlich, dass die Pragmatik, mit der wir unseren Alltag normaler Weise bewältigen, nicht alles ist. Neben die Ökonomie tritt der Genuss, zur Vernunft gesellt sich das Gefühl. Die Liebe lehrt uns eine Sprache des Körpers, die die totale Kontrolle durch den Geist zurückweist. Darin ist die Liebe natürlich gefährlich. Sie ist aber gleichzeitig der Raum, in dem sich der Mensch das Recht nimmt, außergewöhnlich zu sein.

Musik:

Aram Katschaturian
Suite aus Maskerade Walzer /aus dem Film „Krieg und Frieden“

Interpret:
RCA Victor Symphony Orchestra unter der Leitung von Kiril Kondrashin