„Zeichen an der Wand“

Die Empörung war groß, als letzten Herbst antisemitische und neonazistische Schmierereien in Salzburg aufgetaucht sind.

Zwischenruf 23.2. zum Nachhören:

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Empörung war ja auch die einzig richtige Reaktion. Die Behörden sind aktiv geworden, mutmaßliche Täter wurden ausgeforscht, die dann auch geständig waren. Auch die Öffentlichkeit hat reagiert, die Politik, die Medien, die Kirchen. Ich bin froh, dass auch die Generalsynode meiner evangelischen Kirche klare Worte zu diesen Vorgängen gefunden hat.

Johannes Wittich
ist Oberkirchenrat der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Es war in diesen Tagen also doch mit einer gewissen Beruhigung wahrzunehmen: In unser Gesellschaft haben Einstellungen und Haltungen wie die der Täter keine Akzeptanz. Schmierereien dieses Inhalts sind, das ist Konsens, uneingeschränkt abzulehnen. Das zur Kenntnis nehmend ist man, auch ich, beruhigt wieder zur Tagesordnung übergegangen - beruhigt den moralischen Abwehrmechanismen unserer Gesellschaft vertrauend.

Parolen wurden nicht entfernt

Um dann vor wenigen Tagen lesen zu müssen: Die Schmierereien sind auch jetzt, Monate danach, zu einem großen Teil immer noch da. Weil es juristische und auch praktische Probleme gibt, die ihre Entfernung verhindern. Die Säuberung von Hauswänden und öffentlichen Anlagen von den ekelhaften Parolen ist offensichtlich technisch aufwendig, kann z.T. bei winterlichem Wetter nicht gemacht werden und ist dazu teuer. Darüber hinaus ist nicht geklärt, wer für die Kosten der Entfernung aufzukommen hat.

Zwischenruf
Sonntag, 23.2.2014, 6.55 Uhr, Ö1

Und so bleiben zunächst einmal dort, wo sie sind, die menschenverachtenden Worte und Sätze. Werden Tag für Tag gesehen und gelesen. Schockieren Tag für Tag immer wieder, nicht nur Einheimische, auch Touristen, vor deren Urteil sich ein populäres Reiseziel wie die Stadt Salzburg natürlich besonders fürchtet.

Gleichnis

Ich möchte denen, die für die Entfernung der Schmierereien sorgen müssten, denen im Augenblick aber dafür die Hände gebunden zu sein scheinen, nicht pauschal mangelnden guten Willen unterstellen. Ich sehe vielmehr in den ganzen technischen und organisatorischen und juristischen Problemen so etwas wie eine gleichnishafte Botschaft:

Die widerlichen Parolen sind genau so wenig einfach von den Hauswänden wegzukriegen wie aus den Köpfen. Und so lange die Parolen an den Hauswänden stehen, wenn auch von einer überwiegenden Mehrheit unserer Gesellschaft abgelehnt, wird zumindest auch nicht vergessen, dass solche Ansichten nach wie vor geglaubt und vertreten werden. Sie sind gefährlich, aber so lange sie sichtbar sind, können wir ihre Existenz und die damit verbundene Gefahr nicht verdrängen.

Mene Tekel

In der Bibel, im Prophetenbuch Daniel, findet sich auch eine Geschichte von bedrohlichen Schriftzügen an einer Wand, dem berühmt gewordenen Mene Tekel. Über diese Worte wird einem arroganten, menschenverachtenden Herrscher ein Spiegel vorgehalten. Einem Herrscher und seinen Gefolgsleuten, die verspotten und durch den Dreck ziehen, was der entrechteten und gedemütigten Minderheiten der Juden heilig ist. Die plötzlich und geheimnisvoll aufgetauchte Schrift an der Wand droht – und prophezeit katastrophale Konsequenzen, die dann auch eintreten. Der überhebliche König geht unter, zusammen mit seinem Reich.

Sich erinnern, nicht zu vergessen

Antisemitische und neonazistische Schmierereien spiegeln für mich dieselbe menschen- und minderheitenfeindliche Haltung wieder wie die des biblischen Herrschers aus dem Danielbuch. Das, was einem fremd ist, das, was am anderen anders ist, wird verächtlich gemacht, buchstäblich in den Schmutz gezogen. Menschen, denen Unmenschliches angetan worden ist, werden posthum noch einmal mit all der Verachtung behandelt, die sie schon zu Lebzeiten zu spüren bekommen haben.

Wenn also die Parolen an den Wänden der Stadt Salzburg immer noch zu sehen sind, dann haben die Täter, ohne es zu merken und zu wollen, eine ganz eigene Art und „Gedächtnisarbeit“ geleistet. Sie haben uns aufgerüttelt und erinnern uns, dass wir nicht vergessen und verdrängen dürfen.

Selbstverständlich bin ich uneingeschränkt der Meinung, dass diese Schmierereien so schnell wie möglich aus der Öffentlichkeit zu verschwinden haben. Was allerdings nicht gleichzeitig damit verschwinden darf, ist unser Bewusstsein, dass die in diesen Parolen zum Ausdruck gebrachten Einstellungen und Haltungen nach wie vor da sind und gefährlich sind. Und alles daran gesetzt werden muss, dass auch diese so schnell wie möglich verschwinden.