„Er ist immer der Stärkere“

„Was Shakespeare von allen anderen Theaterautoren unterscheidet: Seine Figuren sind unlogisch“, sagt der Theaterkritiker Guido Tartarotti anlässlich des 450. Geburtstags von William Shakespeare.

Guido Tartarotti am 24.4. in den Gedanken für den Tag:

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Shakespeare ist Gottes kleiner Bruder. Ich habe keine Ahnung, von wem dieser Satz stammt, auch im Internet finde ich nichts dazu. Also behaupte ich halt, er stammt von mir, obwohl das sicher nicht stimmt. Es ist ein schöner und sehr kluger Satz, ich hätte gerne, dass er von mir ist. Gottes kleiner Bruder deshalb, weil Shakespeare tatsächlich Welten und Menschen erschaffen kann, die beinahe so interessant sind wie die, die Shakespeares großer Bruder erschaffen hat. Und manchmal sogar interessanter, wenn wir ehrlich sind.

Guido Tartarotti

ORF/Hummel

Guido Tartarotti ist Theaterkritiker und Kolumnist bei der Tageszeitung „Kurier“ und Kabarettist.

Figuren wie echte Menschen

Was Shakespeare von allen anderen Theaterautoren unterscheidet: Seine Figuren sind unlogisch. Wie echte Menschen eben auch. Denn nur auf dem Theater folgen Personen einer strengen psychologischen Logik. Im echten Leben und bei Shakespeare sind sie unberechenbar.

Sie stehen ganz normal in der Früh auf und verfügen sich mit Straßenbahn oder Pferd Richtung Arbeit, aber anstatt ins Büro zu gehen, überfallen sie eine Bank oder ermorden den König oder begehen den größten Unsinn überhaupt: Sie verlieben sich. Echte Menschen und Shakespeare-Menschen sind aus den Schienen springende Waggons.

Wie Rätsel ohne Code

Deshalb ist Shakespeare auch unter Theaterregisseuren so gefürchtet: Man kann gegen ihn nur verlieren. Er ist immer der Stärkere. Regisseure, die glauben, ihn umschreiben, mit Ideen beladen oder sonst wie missbrauchen zu können, Regisseure, die glauben, gescheiter als er zu sein, mehr über die Menschen und das Leben zu wissen als er, die lacht er gnadenlos und höhnisch aus.

Gert Voss, der begnadete Shakespeare-Schauspieler, hat es einmal so ausgedrückt: „Shakespeare ist vielleicht der einzige Autor, der die Menschen wie ein Rätsel beschreibt, für das man nicht den Code hat. Und plötzlich kommt der Mensch in eine ungewöhnliche Situation und es entstehen in ihm Dinge, die ihn selbst erstaunen.“

Musik:

John Dowland (1563 - 1626)
Suzanna

Label: Hyperion CDA 66010