Das fremde Ich

Manchmal fühlt man sich ganz anders als sonst: „Ich bin nicht ganz ich selbst“, heißt es dann. Doch auch darin liegt eine Chance...

Morgengedanken 6.9. zum Nachhören:

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Vielleicht kennen Sie das auch: Das Gefühl, das war nicht ich. Bei irgendeinem Disput, bei einer großen Party oder bei einem Streit mit einem lieben Menschen. Das ist oft so ähnlich, wie wenn ich ein Foto von mir sehe und voll Schrecken denke: Das bin nicht ich.

Angelika Pressler
ist Psychotherapeutin und Personalentwicklerin der Caritas Salzburg

Angst und Neugier

Es ist schon so: Das Fremde macht auch vor dem Eigenen nicht halt. Und seit Sigmund Freud haben wir es schwarz auf weiß, dass das Ich nicht Herr im eigenen Hause ist; dass da in uns immer auch ein Fremdes wohnt, ein Anderes, das wir nicht kennen, oder nicht kennen wollen. Denn das Haus unserer Seele hat viele Zimmer, und nicht wenige bleiben uns fremd. Das Ich bewohnt halt nur gar zu gern jene Zimmer im Erdgeschoß. Nur das Keller-Ich, das Hinterzimmer-Ich? Das bleibt mir oft verborgen, fremd.

„Wir sind nicht sehr zu Hause in der gedeuteten Welt“, so drückt es der Dichter Rainer Maria Rilke aus. Und ich denke, er meint damit wohl auch, dass wir – öfter als wir glauben – Fremdlinge sind, Unbehauste, Suchende. Das kann schon Angst machen – vor dem Fremden. Ein neugieriges Zimmer-Erkunden wünsche ich Ihnen.