Über die Verwandtschaft

Von Gesprächen am kleinen Küchentisch über Wackelzähne, das Gewicht von Gold und der Verwandtschaft mit allen Menschen erzählt die Filmemacherin Anja Salomonowitz.

Anja Salomonowitz am 22.9. in den Gedanken für den Tag:

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Geschichten, die den Alltag transzendieren – das sind Geschichten meiner Kinder. Kinder sagen ja oft Dinge, die sich irgendwo zwischen Himmel und Erde bewegen, wundern sich nicht über die Wunder der Natur, können träumen und sinnieren. Meine Kinder, das sind Zino, 7 und Oskar, 6 und dazu der kleine Sol, der in der Wippe neben dem Frühstückstisch gluckst. Die kleinen Buben denken sich an unserem Frühstückstisch immer Geschichten aus. Wir haben allerdings nur einen sehr kleinen Frühstückstisch, deswegen essen wir alle meist von einem Brett in der Mitte und nicht mehr von Tellern, denn die verbrauchen zu viel Platz.

Filmemacherin Anja Salomonowitz vor einem Mikrofon

ORF/Hummer-Berger

Anja Salomonowitz ist Filmemacherin

Ein Wackelzahn und Essen für alle

Heute kann der Zino gar nicht essen, denn heute hat er einen Wackelzahn. „Wie zieht man einen Wackelzahn?“ „Zuerst bestellt man ein Klavier im Internet“, sagt Oskar. „Dann 3 Goldstücke“, sagt Zino. Wieso 3 Goldstücke? „Mama, Gold ist ur schwer. Die Goldbarren muss man hineinlegen. Also: man bestellt ein Klavier im Internet, dann legt man 3 Goldbarren hinein. Dann befestigt man den Wackelzahn am einen Ende der Schnur und das Klavier am anderen Ende. Und dann wirft man das Klavier aus dem Fenster!“ So einfach ist das.

„Gut, dass nicht noch jemand von der Familie bei uns sitzen muss“, meint der Zino, „das ginge sich nun echt nicht mehr aus.“ Man hat immer 2 Tanten, sagt der Oskar. Nein, Oskar, man hat 4! Jeder hat 4 Tanten. 2 von der einen Seite und zwei von der anderen Seite. Oskar denkt nach. „Eigentlich sind doch alle Menschen auf der Welt miteinander verwandt.“ „Ja, das stimmt“, sage ich, „eigentlich, aber es gibt schon so viele, dass die Menschen sich einander nicht mehr nahe fühlen.“

Die Kinder schweigen. Ich sage: „Stellt euch mal vor, wir würden die alle hier zu uns einladen, die könnten wir ja gar nicht dafüttern!“ Oskar denkt nach. Dann sagt er: „Ja aber Mama, dann wäre der Chef vom Supermarkt ja auch mit uns verwandt und der würde uns dann das Essen geben!“

Musik:

Recomposed By Max Richter
Vivaldi, The Four Seasons - Winter 3

Interpret: Max Richter
Label: Deutsche Grammophon (Universal Music)