Vollkommenheit ... und werde ganz

Perfektion – Vollkommenheit: Diese scheinbar so klaren Begriffe können auch ganz anders verstanden werden...

Morgengedanken 24.3.2015 zum Nachhören:

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Ich bin Ordensfrau – früher nannte man das Ordensleben „Stand der Vollkommenheit“. Seinen Ursprung hatte diese Bezeichnung in der Aufforderung Jesu: Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist. Das 2. Vatikanische Konzil brachte die Erkenntnis mit sich, dass diese Aufforderung Jesu allen Christen und Christinnen gilt.

Brigitte Thalhammer
ist Provinzleiterin des katholischen Ordens der Salvatorianerinnen in Österreich

Unvollkommene und Gescheiterte

Im Christsein gibt es keine verschiedenen Klassen – die Eliten und die anderen, sondern allen gilt dieser Satz aus der sogenannten Bergpredigt Jesu, der aufs erste nach einer ziemlichen Überforderung klingt. Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist. Das kann sehr missverständlich werden – und ist in der Wirkungsgeschichte nicht unbedenklich, wenn man Vollkommenheit mit Fehlerfreiheit oder Perfektionismus gleichsetzt. Vollkommenheit kann man aber auch deuten: und werde ganz. Was für eine Einladung: vor Gott muss ich nichts verstecken – ich darf GANZ da sein mit allem was mich ausmacht – mit meinen Licht- und Schattenseiten – mit meinen Gaben und Grenzen – in meiner ganz menschlichen Unvollkommenheit. Ich darf da sein als eine, die im Werden ist. Nicht perfekt – und im Vertrauen, dass immer wieder ein Anfang geschenkt ist.

Und wenn ich das Leben Jesu anschaue – er scheint viel mehr Interesse an den Unvollkommenen und Gescheiterten gehabt zu haben, als an den Frommen und perfekt Scheinenden.