Wertschätzung

„Sie oder Er wird schon etwas wunderlich“, heißt es manchmal landläufig über ältere Menschen, vor allem wenn sie beginnen dement zu werden. Früher konnte sie mit den Fantasien ihrer dementen Tante nicht wirklich umgehen, erzählt Gisela Ebmer, doch nun habe sie zu einer neuen Form der Wertschätzung gefunden.

Morgengedanken 29.6.2015 zum Nachhören:

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Meine Tante lebt im Pflegeheim und wird dort gut betreut. Immer wieder hat sie Schübe, wo sie der Wirklichkeit entflieht. Wo ich mir denke, sie fantasiert wieder mal, Dinge, die gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Gisela Ebmer
ist Fachinspektorin für den evangelischen Religionsunterricht an Höheren Schulen

Eigene Wirklichkeit

So bin ich unlängst zu ihr gekommen und sie hat mir gesagt, ich solle mit ihrem Telefon dringend in der Rezeption anrufen, denn sie müsse dem Papa mitteilen, warum sie so lange weg ist. Ihr Mann ist vor acht Jahren gestorben. Ich habe gesagt, am Wochenende ist das Büro nicht besetzt, aber später ist sie wieder darauf zurückgekommen: „Ich möchte gerne wissen, was der Papa dazu sagt, dass ich nicht daheim bin.“ Ich bin dann darauf eingestiegen: „Was sollte denn der Papa sagen?“ - „Naja, dass ich so viel unterwegs bin und nicht bei ihm zu Hause.“ Damit war das Thema beendet und sie wechselte zum Alltagstratsch.

Ich konnte früher nicht mit ihren Fantasien umgehen. Allzu leicht war ich geneigt zu sagen, das ist Blödsinn, der Papa lebt nicht mehr. Validation, das ist eine relativ neue Haltung im Umgang mit dementen Menschen. Wertschätzung: Sie ernst nehmen in ihren Gedanken, Gefühlen. Aber gleichzeitig nicht ihnen etwas vorspielen und so tun als würde man ihre eigene Wirklichkeit ebenfalls so wahrnehmen wie sie selber. Das merken sie und fühlen sich nicht verstanden. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, das vierte Gebot mahnt uns zur ehrlichen Wertschätzung.