Diebstahl aus Barmherzigkeit

Barmherzigkeit - ein Begriff, der in unserer Sprache nur noch selten vorkommt. Papst Franziskus benützt ihn immer wieder.

Morgengedanken 6.11.2015 zum Nachhören:

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Die folgende Episode aus seinem Leben hat Papst Franziskus Priestern erzählt. In Buenos Aires starb vor Jahren ein alter Pater. Ein gütiger und barmherziger Beichtvater war er gewesen, auch der junge Jesuit Bergoglio ging beichten zu ihm. Als er von dem Todesfall erfährt, geht er zu dem aufgebahrten Leichnam in die Kirche. Unterwegs kauft er Rosen, schmückt den offenen Sarg damit. Da fällt sein Blick auf den Rosenkranz, den der Verstorbene in Händen hat. Was tut Bergoglio? Er folgt einer Eingebung - „Ihr wisst schon, der kleine Dieb, der in uns steckt“, sagt er den Priestern -, er reißt, tack!, vom Rosenkranz das Kruzifix ab und beschwört den Toten: „Gib mir die Hälfte deiner Barmherzigkeit!“

Gudrun Sailer
ist Redakteurin bei Radio Vatikan und Buchautorin

Das Stoßgebet des Tages

Das gestohlene Kruzifix trägt Bergoglio in einer Stofftasche in seiner Soutane. Früher in der schwarzen, heute in der weißen. Wenn er sich über jemanden ärgert, steckt er die Hand in die Tasche und schickt ein Stoßgebet auf den Weg: „Barmherzigkeit!“

Grenzüberschreitung steckt in dieser Episode, das Schenken, das Nehmen, das Weitergeben, das Ver-Geben, die Liebe, das sich Erneuernde, eigentlich alles. Und wenn es wahr ist, dass mit Barmherzigkeit überschüttet wird, wer seine Fehler bereut, dann ist es auch wahr, dass wir selbst mehr nachsehen können. Mich ärgert heute jemand? Es juckt mich, wen zur Schnecke zu machen? „Barmherzigkeit!“ Das Stoßgebet des Tages.