Syrien - Wiege der Religionen

Radikalisierung steht im Brennpunkt von Politik und Religion, weltweit, in den Tagen nach Paris. Eine Radikalität ganz anderer Art, eine friedliche, habe ich erlebt, als ich in Syrien unterwegs war. Ich bin mir allerdings des weiten Bogens sehr bewusst, den ich damit spanne. Zurück in eine andere Zeit.

Gedanken für den Tag 27.11.2015 zum Nachhören:

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Die letzten Morgennebel heben sich. Weich das Licht, lau die Luft. Duftendes Gras und blühender Ginster. Zypressen stehen da und wachen über unseren Weg. Er führt von dem kleinen Dorf leicht bergauf. Ein monumentaler Bogen markiert seinen Anfang. Wie ein Tor in eine andere Welt. Ruhig, gesammelt unser Schritt. Wir – eine deutsch-österreichische Reisegruppe – wir folgen einem alten Pilgerweg in Syrien. Frühling, vor einigen Jahren.

Josef Schultes
ist Bibelwissenschaftler, Religionspädagoge und passionierter Reiseleiter

Der Säulenheilige

Wir gehen nach Qalaat Seman hinauf, zum Simeonskloster. Qalaat Seman, etwa 40 Kilometer nordwestlich von Aleppo. Seit langem nur mehr kolossale Ruinen in idyllischer Einschicht. Im 5. Jhdt. n.Chr. aber ein Baukomplex von fast 4000 m². Zentrum der gewaltigen Anlage ist eine Säule. Wir treffen nur mehr auf ihren Stumpf, doch damals erreichte sie eine Höhe von 16 - 20 Metern. Darauf eine Plattform mit Stein-Balustraden. Dort oben, ohne je herunterzusteigen, dort oben verbrachte Simeon seine letzten 30 Jahre; so ist es in allen Lebensbeschreibungen übereinstimmend zu lesen. Bald nach seinem Tod werden um ein Oktogon – in der Mitte die Säule – kreuzförmig vier imposante Basiliken errichtet. In knapp 15 Jahren Bauzeit. Auf kaiserlichen Befehl aus Konstantinopel.

Simeon: Durch ihn sind „Säulenheilige“ sprichwörtlich geworden. Extrem seine Absage an die Welt, radikal seine Existenz als Eremit. Doch in Massen strömen die Menschen zu ihm und suchen seinen Rat. Angezogen von der ihm zugeschriebenen magischen Kraft. Er setzt eine Pilgerbewegung in Gang, die weit über das byzantinische Weltreich hinaus reicht. Bis zu uns, die wir die Kunst und Größe der syrischen Kirchenarchitektur bewundern.

Simeon, der Säulenheilige aus Syrien. Eine erste idealisierte Biografie entsteht noch zu seinen Lebzeiten, also um die Mitte des 5. Jhdts. Geschrieben von Theodoret, dem Bischof von Khyrrhos, einer Stadt ganz in der Nähe: „Wie auf einen Leuchter gestellt“, heißt es da in hymnischen Bildern über Simeon, „wie auf einen Leuchter gestellt, hat dieses Licht, der Sonne gleich, seine Strahlen nach allen Seiten entsendet.“

Musik:

Abed Azrie: „Legend of the bird“ von Abed Azrie und Samih Al–Qassem
Label: Polymedia 5358462