Schulstress

Eine Freundin von mir ist Mutter von zwei schulpflichtigen Buben. Als Vorbereitung auf den Schulbeginn hat sie rechtzeitig die Kinder daran gewöhnt, dass sie wieder früh aufstehen müssen.

Zwischenruf 11.9.2016 zum Nachhören:

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Das heißt auch früher schlafen gehen. Kein Spielen mehr am Abend, kein Fernsehen, kein Video, kein Handy. Ab ins Bett. Um 7 Uhr ist Tagwache. Um 10 Uhr müssen die Englisch-Vokabel Seite für Seite wiederholt werden, um 14 Uhr dann ein paar Mathe-Übungen, um 17 Uhr ein Aufsatz. Die Kinder müssen sich ja wieder an den Druck gewöhnen. Sie spielen ja sonst nur den ganzen Tag, denken an nichts, haben keine Konzentration. Meine Freundin sitzt natürlich dabei, wenn sie lernen, sie sollen ja Unterstützung haben und müssen kontrolliert werden.

Gisela Ebmer
ist Inspektorin für evangelischen Religionsunterricht an den Höheren Schulen in Wien

Der Ernst des Lebens

Das Einkaufen der Schulsachen ist sehr mühsam, es gibt so viele Spezialwünsche von den Lehrenden. Und dann kommen Schularbeiten, Tests, Stundenwiederholungen. Die Heftführung der beiden Buben ist katastrophal, sie haben einfach keine schöne Schrift. Sie machen Fehler. Die Kinder sitzen zu Hause und müssen stundenlang Verbesserungen schreiben, und dann kommt noch die Verbesserung der Verbesserung. Meine Freundin ist müde, die Kinder sind müde. Aber schließlich muss man ja vorbereitet sein auf das wirkliche Leben.

Schule ist der Ernst des Lebens. „Wir brauchen Kinder, die funktionieren. Wer braucht schon ein Kind, das lacht“, das merkt der bayrische Liedermacher Konstantin Wecker kritisch an. Wochenenden gibt es sowieso schon lange nicht mehr. Denn auch da ist Lernen angesagt. Wenn meine Freundin zum Elternsprechtag geht, wird ihr gesagt, dass ihre Kinder nicht die richtige Arbeitshaltung haben, dass sie zu langsam sind, dass sie zu wenig lernen, dass wohl nie was aus ihnen werden wird, wenn das so weitergeht. Und trotzdem will meine Freundin, dass die Kinder ins Gymnasium gehen, denn ohne Gymnasium haben sie später mal keine Chance. Sie streitet mit ihrem Mann, denn der sieht alles anders: Lass doch den Kindern ihren Freiraum. Sie sagt: Nein, ich muss den Kindern helfen, in diesem System zu bestehen. Das Klima in der Familie ist schlecht. Die Kinder freuen sich nicht auf die Schule. - Irgendwas stimmt da nicht.

Irgendwas stimmt nicht

Ich bin Lehrerin und höre die anderen Lehrerinnen reden im Konferenzzimmer: Die Kinder heutzutage werden immer schwieriger. Viele haben ihre Hefte und Bücher nicht mit, machen keine Hausübungen. Sie kriegen keine Unterstützung von zu Hause. Ja, im Gegenteil, die Frau Müller war gestern bei mir und hat sich beschwert, dass der Lukas viel zu viel Hausübung kriegt und außerdem, dass ich die Schularbeit ungerecht beurteilt habe. Die Mutter hat ja keine Ahnung, wie sich ihr Kind bei uns aufführt! Fehlt nur noch, dass der Vater, der Rechtsanwalt ist, eine Klage einbringt.

Zwischenruf
Sonntag, 11.9.2016, 6.55 Uhr, Ö1

Puh, wie vertrete ich das gegenüber dem Direktor? Krieg ich jemals einen dauerhaften Vertrag als Lehrerin? Ich habe überhaupt keine Freizeit mehr. Ich arbeite die Wochenenden durch, um Hausübungen zu korrigieren, Tests und Schularbeiten vorzubereiten, Klassenbuch, Notenkatalog und Schülerverwaltungsprogramm zu bedienen, Entschuldigungen der Kinder abzuhaken, die Geldeinzahlungen für Klassenkasse, Kopierkosten, Sportwoche und anderes zu kontrollieren, e-mails von Eltern zu beantworten, Lehrausgänge zu planen und vor allem die Matura zusammenzustellen. Ich soll eine perfekte Unterrichtsdiagnostik machen, damit ich genau weiß, welchem meiner 25 Schülerinnen welche Kompetenzen fehlen und dann muss ich ein spezielles Förderprogramm für all diese Mängel erarbeiten. Und dabei habe ich selber Kinder, Familie. Wie soll ich das alles schaffen? Wann habe ich Zeit für mich selbst? - Irgendwas stimmt da nicht.

Wie schön wäre es, wenn Kinder als Ebenbilder Gottes Raum und Zeit hätten, ihre ganz speziellen von Gott geschenkten Talente zu entwickeln. Wenn Eltern, Lehrerinnen und Lehrer zusammenwirken und gemeinsam staunen über die Kreativität der Kinder und über die Fragen, die sie stellen. Wenn sie gemeinsam fördernde Anregungen entwickeln und behutsame und klare Grenzen setzen. Wenn die Liebe wachsen kann in uns Erziehenden. Wenn Kinder, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer den Sonntag wieder als Ruhetag genießen und wir alle wieder lachen können.