Glocken – ein Zwischenruf

Heute am Sonntag wurde ich in der Früh von Glocken geweckt. Ich bin an sie gewöhnt, sie läuten mir den Tag ein.

Zwischenruf 25.9.2016 zum Nachhören:

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Manchen ist dieses Geläute lästig, weil es laut ist und einen aus dem Schlaf reißen kann. Manche klagen dagegen, weil die Glocken sich aufdrängen mit ihrer Lautstärke. Manchen ist das Läuten vertraut und klingt gut in den Ohren, nach zu Hause, nach unserer Kultur. Manches Läuten ist sehr kraftvoll und laut, manches ist blechern und manches auch ziemlich leise und geht im Lärm des Alltags unter. Manche Glocken sind berühmt und tragen Namen wie die „Pummerin“ in Wien im Stephansdom, die das neue Jahr einläutet. Manche Glocken spielen Melodien, wie das Glockenspiel in Salzburg.

Mag. Margit Geley
ist evangelisch-lutherische Pfarrerin

Rufe zur Unterbrechung

Aber wozu läuten alle diese Glocken landauf, landab eigentlich? Ein Gedanke ist natürlich, um die Uhrzeit zu sagen, manche Glocken tun das ja sehr genau und schlagen oft und ausgiebig.

Glocken sind trotzdem irgendwie anachronistisch, sie fallen aus der Zeit. Glocken wollten immer zum Beten rufen, Glocken wollten immer schon die Arbeitszeit unterbrechen, Glocken wollten immer schon dazwischenrufen und sagen: „Da gibt es auf dieser Welt noch etwas anderes, das zählt!“

Zwischenruf
Sonntag, 25.9.2016, 6.55 Uhr, Ö1

Rufe zur Unterbrechung gibt es auch in anderen Religionen. Im Islam ruft der Muezzin zum Gebet. Fünf mal am Tag beten gläubige Muslime, waschen sich Hände, Arme, Ohren, Haare und Füße, knien immer wieder nieder. Spirituelle Versenkung, körperliche Reinigung und Bewegung. Gemeinsam haben Christen und Muslime diese Unterbrechungen des Alltags.

Es gibt noch mehr im Leben

Glocken sind anachronistisch, sie fallen aus der Zeit und ich finde, das ist ihre große Kraft und Stärke. Glocken sind so laut und stark, dass sie die Zeit unterbrechen können, dass sie den Schlaf stören.

Unterbrechungen kann ich verschieden nutzen. Ich kann beten, so war es ursprünglich gedacht. Ich kann aber auch einfach kurz stehen bleiben und mich umschauen und sehen, was sich gerade tut. Oder einen Luftsprung machen, oder einen anderen umarmen, oder ein Lied singen, oder jemandem etwas Nettes sagen, oder einfach nur zuhören und die Zeit anhalten.

Glocken rufen dazwischen, sie nehmen Hör-Raum ein, sie unterbrechen. Glocken erzählen davon, dass es im Leben mehr gibt als von einem Termin zum anderen rennen. Sie erzählen davon, dass es mehr gibt, als To-Do-Listen abzuarbeiten. Glocken schaffen Unterbrechungen.

Öfter innehalten

In unserer Welt soll alles schnell gehen, und in noch kürzerer Zeit soll noch mehr geschafft werden. Arbeitsstellen werden nicht nachbesetzt, die übrige Belegschaft soll die Arbeit erledigen. In unsere Zeit wird immer mehr hineingepackt, alles soll sich ausgehen, alles muss geschafft werden. Am Ende hat keiner mehr Zeit, obwohl wir doch alle Zeit unseres Lebens zur Verfügung haben.

Dass noch immer Glocken läuten dürfen, so laut und deutlich, das ist ein Hoffnungsstrahl. Wir erlauben es uns, uns unterbrechen zu lassen. Ganz real, denn neben einer läutenden Glocke kann ich nicht telefonieren oder mich unterhalten.

Glocken unterbrechen. Man könnte sie per Gesetz zum Schweigen bringen, dass sie trotzdem noch läuten finde ich schön. Heute werde ich mit besonderer Freude hinhören auf die vielen Glocken, die ich zu hören bekomme. Und ich nehme mir vor, dass ich mich immer wieder unterbrechen lassen will. Dass ich dem anachronistischen Ruf nach Innehalten nachgeben werde – immer wieder und immer öfter.