Schwarze und weiße Schafe

„Schwarz-Weiß-Denken“ – das wird oft Menschen vorgeworfen, die die bunte Komplexität der Welt nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Aber: Nicht immer und überall gibt es ein klares „Gut und Böse“.

Morgengedanken 10.10.2016 zum Nachhören:

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In einer Geschichtensammlung des indischen Jesuitenpriesters Anthony de Mello findet sich ein Zwiegespräch zwischen einem Schäfer und einem Spaziergänger.

Thomas Hennefeld
ist Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Dieser kommt bei einem Hirten vorbei, der gerade seine Schafe hütet. „Wie weit laufen Ihre Schafe am Tag?“, erkundigt sich der Spaziergänger. Und der Schäfer fragt zurück: „Welche meinen sie, die weißen oder die schwarzen?“ „Die weißen.“ „Nun, die weißen laufen ungefähr sechs Kilometer täglich -“ „- und die schwarzen?“ „Die schwarzen genauso viel.“ „Darf ich Sie fragen, warum Sie ihre Schafe in schwarze und weiße aufteilen?“ „Das ist doch ganz natürlich“, antwortet der Schäfer, „die weißen gehören mir.“ „Ach so! Und die schwarzen?“ „Die schwarzen auch“, sagt der Schäfer.

Der Schäfer hat den Spaziergänger durchschaut und ihn auf die falsche Fährte geführt. Menschen denken gerne in schwarz und weiß. Alles muss seine Ordnung haben. Dabei hat Gott alles erschaffen, die weißen und die schwarzen und die grauen und die gescheckten, die ganze Vielfalt an Schafen und auch Menschen. Wir müssen sie in unseren Köpfen nicht gleich aufteilen, vielleicht sind sie ja einander ähnlicher als es den Anschein hat.