Wenn 200 Propheten durch Floridsdorf laufen

Neulich sind mehr als 200 Propheten und Prophetinnen zwei Stunden lang in Wien-Floridsdorf im Kreis gelaufen.

Zwischenruf 23.10.2016 zum Nachhören:

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Propheten, das sind nach biblischem Verständnis Menschen, die ein weniger weiter sehen. Prophetinnen, das sind Menschen, die in schwierigen Situationen immer noch den Durchblick haben. Propheten und Prophetinnen sind Menschen, die sich trauen, anders herum zu denken als immer nur im gleichen Kreis. Auch wenn sie an einem Samstagnachmittag tatsächlich im Kreis laufen. So schnell und so lang sie können.

Dabei schauen Propheten nicht in die Kristallkugel. Sie lesen auch nicht irgendwelche Geheimnisse aus dem Kaffeesud heraus oder in ihn hinein. Prophetinnen haben einen Blick für die kleinen Ereignisse, die heute erzählen, was in Zukunft möglich ist. Propheten dienen ihren Mitmenschen damit, dass sie diese kleinen Wahrnehmungen, für andere sichtbar machen. Propheten reden nicht nur. Sie handeln auch.

Christine Hubka

ist pensionierte evangelische Pfarrerin und Gefängnisseelsorgerin

Laufen für den guten Zweck

An so einer prophetischen Veranstaltung habe ich vor kurzem teilgenommen. Zwei Stunden lang sind mehr als 200 Menschen beim sogenannten Gefängnislauf rund um die evangelische Kirche und das danebenliegende Gefängnis gelaufen. Für jede Runde, also für jeden Kilometer, bekamen die Läufer und Läuferinnen eine Prämie von ihren Sponsoren. Das ist noch nichts Besonderes. Solche gesponserten Läufe für einen guten Zweck gibt es inzwischen viele.

Besonders ist jedoch für mich, wer da miteinander gelaufen ist. Da waren zuerst einmal die Sportlichen. Sie nutzen die Gelegenheit, ihr Hobby mit einem guten Zweck zu verbinden. Ehemalige Gefängnisinsassen waren da. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Justiz, Wachpersonal und Sozialarbeiterinnen. Frauen, deren Männer aktuell in Haft sind. Kindergartenkinder - die jüngste war fünf Jahre alt - mit ihren Eltern. Schulkinder mit ihren Lehrerinnen. Eine Gruppe Häftlinge, die ihren Ausgang nützten, um an dem Lauf teilzunehmen. Ältere Herrschaften, Männer und Frauen über siebzig, drehten Runden mit ihren Walkingstöcken.

Sie alle liefen gemeinsam, sammelten Laufrunden und damit Geld für die Angehörigen von Inhaftierten. Der Verein SIM, der Menschen im Maßnahmenvollzug unterstützt, hatte einen Stand. Betreut wurde er von ehemaligen Insassen im Maßnahmenvollzug.

Niemand schaute schief

Niemand schaute schief zum anderen hin, mit der heimlichen Frage im Kopf: „Warst du etwa auch im Häfn?“ Niemand überlegte, was der da drüben wohl angestellt hat, dass er in Haft war. Niemand schaute schief zum andren hin, mit der heimlichen Frage im Kopf: „Gehörst du etwa auch zu denen von der Justiz?“ Die Eltern fürchteten nicht um ihre Kinder. Die Älteren hatten keine Angst vor den jungen Strafgefangenen.

Zwischen dem Floridsdorfer Gefängnis und der Evangelischen Kirche herrschte zwei Stunden lang eine Atmosphäre, wie sie der Prophet Jesaja im Alten Testament für Gottes versöhnte Welt beschreibt:

Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, … (Jes 11,6-7).

Lämmer und Wölfe unterstützen

Und da war auch keiner, der aufgestanden ist und gesagt hat: Warum sollten wir die Angehörigen der Täter unterstützen? Wir sollten uns lieber um die Angehörigen der Opfer kümmern. Natürlich gehört es zu dieser versöhnten Welt dazu, dass sowohl Wolfskinder und als auch Lämmer unterstützt werden, wenn sie Hilfe brauchen.

Ich bin an diesem Nachmittag glücklich nach Hause gegangen. Ich habe erlebt, gespürt, gesehen, dass es möglich ist und Freude macht, wenn Gruppen die sonst nie miteinander zu tun haben, für die Schwächsten gemeinsam etwas erreichen. Auch wenn die meisten der Teilnehmenden das Bild des Jesaja von den Wölfen und den Lämmern wahrscheinlich nicht kennen.