Ich rede gut über dich

„Ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet“ – so wird in der Bibel eines der Werke der Barmherzigkeit beschrieben. Heutzutage werden Menschen oft im übertragenen Sinn „ihrer Kleider beraubt“: durch Klatsch und Tratsch, durch böse Gerüchte und hemmungsloses Mobbing wird ihnen die Würde genommen.

Morgengedanken 7.2.2017 zum Nachhören:

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Ich war nackt. Zumindest in unseren Breiten, scheinen alle Menschen ausreichend bekleidet zu sein.

Georg Schärmer
ist Caritas-Direktor der Diözese Innsbruck und Autor des Buches „Herzschrittmacher. Wege der Barmherzigkeit“ (Verlag Tyrolia)

Eine harte Übung

Wo ihnen nicht selten das Kleid der Würde vom Leib gerissen wird, das finden wir allzu oft auf den Schauplätzen des Dorftratsches, der betrieblichen Mobbing-Ecke, in den Spalten des sensationslüsternen Tages-News-Blattes. Da wird nicht nur das „Maul“ zerrissen, sondern auch der letzte Fetzen der Achtung vor einem Menschen. Unsere fehlersüchtige Gesellschaft sucht geradezu leidenschaftlich nach dem Schlechten und Unzureichenden; baut ihre Selbstgefälligkeit auf den Trümmern der vorher verbal und manchmal real Vernichteten auf.

Ich wurde letztes Jahr am Aschermittwoch von einem ORF-Journalisten gefragt, welchen Fastenvorsatz ich hätte. Meine Antwort: „Ich verzichte auf das Weitersagen von schlechtmachenden Gerüchten und Geschichten“. „Erstaunlich“, seine Antwort. Weniger erstaunlich ist, dass ich es nicht geschafft habe. Es ist eine harte Übung, nur gut über andere zu reden.