Fasching

Karin steht vor dem Spiegel, zieht konzentriert den knallroten Lippenstift nach, streicht mit dem rechten Zeigefinger über die widerspenstigen Härchen ihrer rechten Augenbraue, leckt sich leicht über die Lippen und rückt dann die schwarze Augenmaske zurecht, bevor sie sich die blonde Perücke aufsetzt, die aus der grauen Maus eine Sexbombe macht.

Zwischenruf 26.2.2017 zum Nachhören:

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Eine femme fatale, die heute Nacht so manches Männerherz betören wird. In der Realität klappt das nicht. Da ist sie viel zu unscheinbar und zu schüchtern, zu mager, um überhaupt einen Blick auf sich zu ziehen. Darum hat sie sich das Faschingskostüm gekauft, das an den richtigen Stellen die richtigen Polster hat. Eine Traumfigur, die angeblich jeden Mann in ihren Bann ziehen wird.

Sieglinde Pfänder
ist evangelisch-lutherische Pfarrerin in Oberwart im Burgenland

Nur weil sie eine Maske aufhat, kann sie dieses Kostüm anziehen. Nur weil sie so furchtbar einsam ist, kann sie sich unter die Masse fremder Menschen mischen und so tun, als ob sie sich jeden Tag einen Mann angeln könnte, nicht irgendeinen, sondern einen, der ihr gefällt, einen, den sie mit ihrem Aussehen beeindrucken kann.

Sie greift nach dem Flachmann in ihrer Handtasche und nimmt einen Schluck. Ein bisschen Mut muss sein, denkt sie ... bevor sie aus dem Waschraum stöckelt und ihre Angel auswirft.

Rudi hat sich als Schwein verkleidet. Er braucht diese Maske für seine Psychohygiene. Alle aus der Firma haben sich verkleidet, ist ja Fasching. Manchmal schämt Rudi sich für die Härte, die er an den Tag legen muss, um in seinem Geschäft zu überleben. Als er jung war, hätte er nie gedacht, dass es mal so weit kommen könnte. Um die Umsätze zu steigern und die Erwartungen der Aktionäre zu erfüllen, muss er Personalkürzungen durchführen, so ein Schmarren, dabei weiß er, dass gerade in seiner Branche ein Menge Frauen von den Dumpinglöhnen, die sie erhalten, gar nicht wirklich überleben können, geschweige denn leben. Dafür schämt er sich immer öfter.

Zwischenruf
Sonntag, 26.2.2017, 6.55 Uhr, Ö1

Gestern hatte er noch keine Ahnung, in welche Rolle er heute schlüpfen würde. Cowboy? Seeräuber? Rumpelstilzchen? An alles hatte er gedacht ... aber irgendwie brauchte er ein Kostüm, mit dem er deutlich machen konnte, dass er seine alltägliche Rolle kannte, dass er diese Rolle immer öfter hasste ... und dass er seit Monaten hin und herüberlegte, wie er sich verändern könnte.

Oder er musste es schaffen, sich über sich selbst lustig zu machen, um nicht kaputt zu gehen, um den anderen zu verdeutlichen, dass er genau wusste, wie sie alle über ihn redeten ... Wenn er den Job nicht machte, machte ihn ein anderer ... vielleicht sogar eine Spur härter als er. In der Nacht war ihm ein Lied eingefallen aus seiner Jugend ... und damit war seine Rolle für diesen Fasching klar. „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt!“ von den Prinzen. Schwein sein ... das konnte er ... das war er ... aber solange er das wusste und darüber lachen konnte, war sein Charakter noch nicht zur Gänze verdorben. So lange er über sich lachen konnte, gab es auch für ihn die Hoffnung auf Veränderung.

Silke packt konzentriert ihren Koffer. Die kunterbunte Hose, das orange T-Shirt, die schwarze Lockenperücke und die knallroten, riesigen Schuhe lagen schon ordentlich zusammengefaltet an Ort und Stelle. „Was fehlt jetzt noch?“ ... „Ah, das freche Hütchen, das zitronengelbe Plastikmascherl, und den flachen Kanister, den durfte sie auf gar keinen Fall vergessen und den durchsichtigen Schlauch auch nicht, der das Mascherl mit dem Kanister verbinden würde ... „und das Wichtigste“, murmelt sie, „meine rote Clownnase“ ... und schon zaubert sie das rote Schaumgummibällchen aus ihrem Rucksack.

„Da sind sie ja, alle meine Utensilien!“ schmunzelnd legt sie auch diese Sachen in den Koffer, obendrauf kommt noch der lange schwarze Frack, dessen Zipfel bis auf den Boden reichen ... den trägt sie nur, damit niemand den Wasserkanister auf dem Rücken sieht ... und den Schlauch, der ihr Mascherl mit dem Wasser verbindet. Die Clownschminke und das Trillerpfeifferl kommen zum Schluss, bevor sie den Koffer schließt. Freudig macht sie sich auf den Weg zum Zug. Sie fährt nach Hause. Nach Köln. Sie hat Urlaub genommen, um drei Tage lang den Clown zu spielen.

Schon als Kind war sie im Fasching immer wieder in die Rolle des Clowns geschlüpft, hatte Kunststücke eingeübt und Witze erlernt, um andere zum Lachen zu bringen. In ihrem Beruf als Pfarrerin kommt ihr das manchmal zu Gute, vor allem dann, wenn sie mit einem gekonnten Scherz kritische Situationen entschärfen kann.

Ihr Herz lacht vor Freude ... das Schönste am Fasching ist, dass für eine kurze Zeit alle gleich sind: Narren unter Narren, die über sich selber und ihre Erwartungen an das Leben lachen können ... was könnte befreiender sein als dieses fröhliche Lachen?