Die Logik der Pantoffeltierchen

Gestern haben wir von den wirklich größten Wesen im Garten gesprochen, den Bäumen. Heute sollen die Kleinsten drankommen. Man findet sie in Pfützen und in der Regentonne, im Wasser in der Gießkanne.

Gedanken für den Tag 24.3.2017 zum Nachhören:

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Sehen kann man sie allerdings nur unter dem Mikroskop. Das mag aber ihren Ruhm nicht schmälern. 2007 haben es diese Wesen, die Pantoffeltierchen genannt werden, sogar zum Titel „Einzeller des Jahres“ gebracht. Sie sind äußerst nützlich, denn ihre Hauptspeise sind Bakterien.

Lernfähiges System

Aber das ist noch nicht das erstaunlichste an den Pantoffeltierchen. Das Erstaunliche ist die Art, wie sie sich fortpflanzen. Wenn die Umwelteinflüsse günstig sind, das Wetter ist feucht und warm, dann teilt sich das Pantoffeltierchen selbst. Es kopiert sein genetisches Material eins zu eins und teilt sich. Es braucht nichts und niemanden, der ihm dabei hilft. Auf diese Weise entstehen pro Tag aus einem Pantoffeltierchen sieben andere gleiche Pantoffeltierchen.

Oliver Tanzer
ist stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Furche“

Wenn sich die Witterung und die Rahmenbedingungen allerdings verschlechtern, dann ist ein ganz anderer Effekt zu beobachten. Die Pantoffeltierchen beginnen dann, miteinander zu „konjugieren“, wie die Zoologen sagen. Sie schmiegen sich aneinander, tauschen ihr Genmaterial aus und entkoppeln sich wieder.

So bewirkt eine krisenhafte Situation eine gesteigerte Vielfalt genetischen Materials und die Entstehung von Kreuzungen, die dann unter Umständen besser geeignet sind, mit dem Notstand umzugehen. Nehmen wir an, unsere Wirtschaft wäre auch nur in Ansätzen so intelligent wie ein Pantoffeltierchen: Würde sie dann im Fall einer wirtschaftlichen Depression nicht alles unternehmen, um zu neuen Kombinationen und Verfahren zu kommen, um besser durch die Zeit der Not zu kommen?

Aber sie macht das genaue Gegenteil. Sie trampelt sozusagen in alten Pantoffeln auf ausgetretenen Pfaden durch die Landschaft, indem sie immer bestrebt ist, dem krisenhaften Wachstum einen noch krisenhafteren Wachstumsschub draufzusetzen. Und das Ende vom Lied ist, dass ein System, das nicht lernfähig ist, seine Codes und Methoden nicht hinterfragt und alles für unabänderlich hält, immer wieder zusammenbrechen muss. Dabei wäre doch die richtige Methode schon in den kleinsten Lebewesen angelegt. Man müsste nur ähnliche Strategien wie das Pantoffeltierchen haben, das man wirtschaftlich gesehen einen „Pantoffelhelden“ nennen muss.

Musik:

Lynn Anderson: „Rose garden“ von Joe South
Label: Bellaphon 28931014