Bleibe mit deiner Gnade bei uns

Der eine tut es aus alter Gewohnheit, die andere aus Überzeugung und viele ganz unbewusst: Sie beginnen den Tag mit einem Gebet – und sei es nur ein geseufztes „Oh Gott“.

Morgengedanken 26.5.2017 zum Nachhören:

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„Ach bleib mit deiner Gnade bei uns Herr Jesu Christ …“ - so beginnt ein Lied im Evangelischen Gesangbuch. Es ist das letzte Lied, das mein Vater gesungen hat. Im Frühgottesdienst an einem sonnigen Spätsommersonntag. Auf dem Heimweg hatte er einen Schlaganfall, und obwohl er mit Einschränkungen noch fast zehn Jahre lebte, war er seit diesem Tag ein anderer.

Luise Müller
ist evangelische Theologin und ehemalige Superintendentin der Diözese Salzburg-Tirol

Mach du, Gott!

Er, der immer so gerne gesungen hatte, verlor diese Gabe mit der Krankheit. Und nicht nur das: Seine ganze Persönlichkeit war zerstört, aus einem liebevollen, großzügigen und geselligen Menschen wurde ein abwehrender, zurückgezogener Eigenbrötler, der nur zu seiner engsten Familie noch einen Zugang fand. Wenn meine Mutter, die zusammen mit ihm in der Kirche gewesen war, von diesem Tag erzählte, dann erwähnte sie immer dieses Lied. „Ach bleib mit deiner Gnade“. Und irgendwie wurde es zu einem Vermächtnis. Wir haben es auch bei seiner und bei ihrer Beerdigung gesungen.

An Tagen, wo alles zu dunkel und zu schwer scheint, da ist es mein Morgengebet. Da flehe ich Gott an um seinen Schutz, seine Gnade, seine Treue und seinen Segen. An Tagen, wo alles zu schwer scheint, tut es mir gut, mich Gott in die Arme zu werfen wie ein Kind und zu sagen: Mach du, Gott! Heute brauche ich nichts anderes als dich ganz nah bei mir.