Goethe, Hafis und der Islam

In diesen Zeiten, in denen Menschen aus dem Orient und Occident, aus dem Norden und dem Süden immer näher rücken, in diesen Zeiten, in denen viele Grenzen aufgelöst werden, aber leider auch wieder Grenzen aufgebaut werden, in diesen Zeiten sollten wir uns einmal mehr daran erinnern, dass diese Welt unser aller Welt ist.

Gedanken für den Tag 24.5.2017 zum Nachhören:

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Nicht die Globalisierung ist ein Beleg dafür, sondern die Tatsache an sich. Wir haben keine andere ERDE, auf die wir ausweichen können. Sie gehört uns allen. Der Osten und der Westen, der Norden und der Süden sind eins.

Goethe schreibt in seinem Buch „West-östlicher Divan“: Gottes ist der Orient! Gottes ist der Occident! Nord- und südliches Gelände ruht im Frieden seiner Hände.

Seyran Ateş
ist Menschenrechtsanwältin, Feministin und Muslimin

Zwillingsseele

Inspiriert und fasziniert von dem großartigen Dichter Mohammed Schemsed-din Hafis war nicht nur Goethe, sondern auch Rückert, Nietzsche und viele andere aus dem sogenannten Westen. Hafis, was so viel bedeutet wie „Bewahrer des Koran“ war ein tiefreligiöser Muslim und Sufi. In seinen Liedern und Gedichten besingt und verherrlicht er nicht nur Gott, sondern auch in aller Sinnlichkeit der orientalischen Sprache die Schönheit der Natur, die Augenbrauen der Geliebten, genauso wie die Köstlichkeit des Weines, des Rausches und der fröhlichen Geselligkeit.

Hafis gehört zu den genialsten Dichtern der Menschheitsgeschichte, die den Gegenbeweis dafür erbringen, dass für Muslime Religiosität und freier Geist keine Gegensätze sei müssen:

„Schenke bring den Rosenwein
Der nach Moschus duftet,
Weil die Überweisen mir
So viel Ärger geben.
Wahrlich! nicht verkostet hat
Vom Genuss des Lebens,
Welchem die Verheißung auf
Morgen ward gegeben.
Gerne tut Hafis Verzicht
auf die Paradiese,
Wird ihm deines Heiligtums
Hochgenuss gegeben.

Als Goethe mit 24 Jahren Hafis entdeckte und ihn als seine Zwillingsseele bezeichnete, hat er sicher nicht untertrieben.

Buchhinweis:

Seyran Ates, „Selam, Frau Imamin“, Verlag Ullstein

Musik:

Ricardo Requejo/Klavier und Thomas Friedli/Klarinette: „Zart und mit Ausdruck“ aus: 3 Fantasiestücke für Klavier und Klarinette op. 73 von Robert Schumann
Label: Claves 508201