Bibelessay zu Matthäus 28, 16 – 20

Wer heute in Jerusalem den höchsten Platz auf dem Ölberg besucht, der findet dort noch immer eine runde Kapelle vor.

In dieser Kapelle, so sagt man, sind die Fußspuren Jesu zu sehen, als er sich auf den Weg in den Himmel machte, um, wie es der Epheserbrief sagt, „zu Gottes Rechten zu sitzen und über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften und über jeden Namen, der nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen genannt wird“, zu herrschen.

Gerhard Langer
ist katholischer Bibelwissenschaftler und Judaist

Die große Rede

Ob Jesus je an diesem Ort war, ist mehr als umstritten. Doch darum geht es nicht. Die Himmelfahrt Jesu ist ein Ereignis, das die Historie hinter sich lässt, das sich vielmehr im Bereich der Selbstvergewisserung der jungen Kirche abgespielt hat, aber keineswegs bloß auf einer geistigen, sondern sehr konkret politischen und ideologischen Ebene.

Anders als bei Lukas etwa, der die Himmelfahrt auch am Ölberg geschehen lässt, findet für Matthäus das Ereignis auf einem Berg in Galiläa statt. Galiläa und Berg sind hier geradezu Symbolbegriffe. In Galiläa lag das Hauptbetätigungsgebiet Jesu, hier berief er seine Jünger. Auf dem Berg fand die große Rede statt, in der er – modern formuliert – sein politisches, soziales und gesellschaftliches Programm verkündete.

Wie soll es weitergehen?

Diesmal ist die Szenerie ähnlich und doch anders. Zwar hatte Jesus auch schon zu Lebzeiten Macht beansprucht, doch jetzt geht sie weit über das gewohnte Maß hinaus.

Erfüllte Zeit
Donnerstag, 25.5.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Drei Teile hat diese Rede Jesu. Einmal geht es um Jesu Vollmacht über Himmel und Erde, dann folgt der Missionsbefehl, alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen, sie zu taufen und zu belehren. Daran schließt sich die Vergewisserung an die Jünger an, dass Jesus auch nach seinem Tod nahe ist. Er erweist sich damit über den Tod hinaus als Immanuel, als der „Gott ist mit uns“, als den ihn Matthäus schon bei der Geburt verkündet hat. In der Mitte des Evangeliums meint er (18,20), dass dort, wo zwei oder drei im Namen Jesu zusammen sind, er mitten unter ihnen ist. Die Vergewisserung hat die frühe Kirche offenbar nötig, - jetzt, wo er nicht mehr sichtbar unter ihnen ist. Ohne Zögern berichtet Matthäus nämlich, dass sich die Jünger zwar einerseits vor Jesus voller Ehrfurcht niedergeworfen hätten, dass es aber gleichzeitig Zweifel gab.

Diese Zweifel spiegeln die Unsicherheit einer frühen Gemeinde. Wie soll es nach dem Tod Jesu weitergehen? Ist der Weg richtig? Lohnt es, weiter die Botschaft Jesu zu verbreiten?

Weltweite Mission

Der Evangelist beruhigt nicht nur, er versucht, die Zweifel zu zerstreuen. Der Tod hat Jesus nicht geschwächt, im Gegenteil. Nun ist er erhöht, sitzt zur Rechten Gottes, wie es im Ersten Testament der Psalmist einst in Ps 110 ausgedrückt hat. Dieser Psalm ist nötig, um das Matthäuswort zu verstehen. Dort wird der messianische König erhöht und Gott legt ihm seine Feinde symbolhaft zu Füßen. Die Bedrohung des Volkes hat ein Ende. Das Kommen des Messias hat reale Folgen. Es geht um Rettung vor dem allgegenwärtigen Feind. Für das Judentum war damit auch verbunden, dass die Botschaft Israels, ausgedrückt in der göttlichen Weisung, der Tora, zu allen Völkern gelangt. Im Evangelium ist viel von dieser Botschaft enthalten.

Nur die Macht Gottes und nun des Messias Jesus ermöglicht es, dass die Inhalte der Jesusgemeinde sich verbreiten können. Sie stärken die Gemeinde und verkehren die weltliche Macht in ihr Gegenteil. Die römischen Götter und mit ihnen die römischen Besatzer sind genauso machtlos wie andere weltliche Herrscher. Das hat Matthäus schon in der Geburtsgeschichte klargemacht. Was in der Krippe begann, wird nach dem Tod Jesu vollends deutlich. Daraus schöpfen die Jünger Kraft für die weltweite Mission. Die Taufe und die Verkündigung der Lehre Jesu werden als Auftrag formuliert.

Universale Bewegung

Dieser Missionsauftrag ist vielfach kritisiert worden, nicht nur von Menschen außerhalb der christlichen Gemeinschaften. In jedem Fall markiert er einen Einschnitt in der Geschichte der Jesusbewegung. Während dieser sich als Erneuerer des Volkes Israel sah, geht man jetzt weiter darüber hinaus. Das Ziel sind Menschen der unterschiedlichsten Ethnien. Das Christentum als universale Bewegung stellt nun auch nicht die Tora, sondern die Botschaft Jesu in den Mittelpunkt, seine Lehre, die es zu befolgen gilt.

Im Laufe der Geschichte hat das Christentum einen gewaltigen Aufschwung genommen, hat die Botschaft Jesu auf der ganzen Welt zu verbreiten versucht und überall Menschen zu Jüngern gemacht, vielfach mit großem Engagement und Begeisterung, nicht selten aber auch mit Zwang. Zweifellos muss man das aus heutiger Sicht kritisch betrachten: aufgrund geschichtlicher Erfahrung von Zwangstaufen und religiöser christlicher Gewalt und auf der Basis von religiöser Toleranz und der Anerkennung der freien Entscheidung jedes Menschen. Gleichzeitig gilt es zu verteidigen, dass Christen überall auf der Welt die Botschaft Jesu leben und auch verkünden dürfen, frei von Repressalien, Bedrohung und Verfolgung.