Bibelessay zu Johannes 16, 5 – 15

„Es ist gut für euch, dass ich weggehe!“, sagt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern zum Abschied. Ich weiß schon, ihr werdet traurig sein. Ihr werdet mich vermissen. Ihr werdet um mich weinen. Aber es ist gut, dass ich weggehe. Dann könnt ihr erwachsen werden, euer Leben und das Leben der Kirche in die eigenen Hände nehmen".

Das ist die Botschaft von Pfingsten. Jesu Jüngerinnen und Jünger müssen erwachsen werden und selber die Verantwortung übernehmen.

Michael Chalupka
ist Direktor der Diakonie

Ein Helfer wird geschickt

Doch Jesus lässt sie nicht allein. „Wenn ich gehe, dann will ich euch einen Tröster, einen Beistand, eine Anwältin schicken“. Im griechischen Text ist hier die Rede vom Parakleten. Das kann mit Tröster, mit Beistand oder mit Anwältin übersetzt werden. Diese heilige Geistkraft, sie kommt zu Pfingsten auf die Jüngerinnen und Jünger herab, sie bleibt bei ihnen und in ihnen. Wenn der Paraklet zu den Jüngern kommt, dann kommt Gott selbst in die Welt – als ihr Beistand, als ihr Trost und als ihre Anwältin.

Das heißt, die Inkarnation, das In-die-Welt -Kommen Gottes, ist in der Geschichte, in der Geschichte Jesu – seinen Lebens und Sterbens und seiner Auferstehung – nicht nur vergangene Geschichte, sondern lebendige Geschichte. Der Heilige Geist, der zu Pfingsten ausgegossen wird, ist kein Geist, der ewig über den Wassern schwebt oder sich im Hintergrundrauschen der Weiten des Universums verliert. Im Gegenteil, ganz wie bei Jesus Geburt und seinem Sterben manifestiert sich Gottes Geist im Menschen. Gott will im konkreten Menschsein Gott sein: Gott im Menschengeist, im Menschenmund und in der Menschentat.

Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit

Indem Jesus seinen Jüngern verspricht, ihnen den Parakleten, den Beistand, den Tröster, die Anwältin zu schicken, indem er ihnen verspricht, sie nicht allein zu lassen, nimmt er sie auch in Anspruch. Sie selber, die Nachfolgerinnen Jesu, haben den Auftrag, weil sie ja den Heiligen Geist empfangen haben, selber Beistand, Trösterin oder Anwalt der Sache Jesu in der Welt zu sein.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 4.6.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Und daran scheiden sich die Geister. Wenn Gott im konkreten Menschensein Gott sein will, Gott im Menschengeist, im Menschenmund und in der Menschentat, dann müssen sich Geist, Mund und Tat auch an der Sache Jesu messen lassen. Denn Menschengeist und Menschenmund und Menschentat haben schon das Schrecklichste hervorgebracht, zu dem Menschen fähig sind, zumal dann, wenn sie sich auf eine absolute Wahrheit berufen haben.

Anwältin der Sache Jesu zu sein, heißt einzutreten für die, die er liebte: die Kinder, die Armen, die Entrechteten und Verfemten, für die, die in einer Gesellschaft zu Außenseitern und Sündenböcken gemacht werden. Anwältin der Sache Jesu zu sein heißt, dafür einzutreten, dass alle das, was ihnen durch das Leben geschenkt wurde, auch entfalten können und nicht einer dem anderen die Freiheit stiehlt oder das Leben nimmt. Anwältin der Sache Jesu zu sein, heißt einzutreten für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Geist der Wahrheit

Um dieser Sache gerecht zu werden, verspricht Jesus den Seinen, neben dem Parakleten auch noch den Geist der Wahrheit. Der Geist der Wahrheit wird als dynamisch geschildert. Er wird zur Wahrheit anleiten, und er wird hören. Das klingt nicht statisch. Der Geist der Wahrheit ist eben kein Paket, in dem die absolute Wahrheit verpackt wäre und das es nur auszupacken und in Besitz zu nehmen gelte. Auch der Geist der Wahrheit will in der jeweiligen geschichtlichen Situation erbeten, erfleht und erstritten werden.

Der Geist der Wahrheit kann von niemand besessen werden. Immer dann, wenn jemand behauptet, ihn zu besitzen, ist das ein sicheres Zeichen seiner Abwesenheit. Aber ihm nachspüren hier auf Erden, in all seiner Vorläufigkeit, im Menschengeist und Menschenmund und in der Menschentat, das können wir seit Pfingsten, um der Sache Jesu willen und um der Sache der Menschen willen. Das bleibt ein Wagnis, dabei gilt es, Verantwortung zu übernehmen, wie es Erwachsene eben tun müssen. Doch der Pfingstgeist ermutigt uns dazu.