Bibelessay zu Jesaja 2, 1 - 5

Es gibt nur wenige Bibeltexte, die auch in unserem Zeitalter eine solche Wirkung entfaltet haben wie dieser.

„Schwerter zu Pflugscharen machen“ – das war einst z.B. das Leitbild der Friedensbewegung in der DDR – jener Bewegung, die 1989 bekanntlich zu einer der friedlichsten Revolutionen der Weltgeschichte geführt hat.

Hermann Miklas
ist evangelischer Theologe und Superintendent der lutherischen Diözese Steiermark

Marsch auf Washington

Eine Skulptur dieses symbolträchtigen Bildes (Schwerter zu Pflugscharen machen) steht auch im Garten des UNO-Hauptquartiers in New York. Interessanterweise war es ausgerechnet der Sowjet-Führer Nikita Chruschtschow, der diese Skulptur hat anfertigen lassen – im Vorfeld seines legendären Treffens mit John F. Kennedy 1961 in Wien. Chruschtschow, der ja eigentlich Präsident eines deklariert atheistischen Staates war, hat damit deutlich machen wollen: Trotz aller unserer weltanschaulichen und politischen Differenzen – am Ende unseres Weges soll doch der Friede stehen. Bemerkenswerterweise ist übrigens auf dem Grabstein von Chruschtschow ebenfalls ein biblisches Zitat eingraviert.

Wenige Jahre später (1968) hat dann Jesajas Bild von der Völkerprozession hinauf zum Berg Zion auch Martin Luther King inspiriert – zu seinem Aufruf für den „Marsch auf Washington“. In seiner berühmten Rede dort („I have a dream“) hat King bewusst den Faden der globalen Vision (dass kein Volk mehr gegen das andere seine Waffen erheben und junge Männer gar nicht mehr lernen würden, Krieg zu führen) weiter gesponnen und auf die konkrete Situation seiner Zeit und seines Landes heruntergebrochen: „Ich habe den Traum, dass eines Tages die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen werden….“

Wurzel der Gewalt

Ist schon erstaunlich, wie so ein einfacher, fast 2700 Jahre alter Text aus dem Alten Testament im Lauf der Geschichte immer wieder neu aktualisiert worden ist! Obwohl formal eigentlich der utopische Traum für eine ferne Zukunft („am Ende der Zeiten“) hat er seine erstaunliche Wirkung im 20. Jahrhundert dann doch stets für die jeweilige Gegenwart entfaltet. Sozusagen als Motivationsschub für innovatives menschliches Handeln hier und jetzt.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 6.8.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Mittlerweile aber schreiben wir das Jahr 2017 – und erleben in vielen Staaten unserer Erde eine zunehmende Re-Nationalisierung. Die Bereitschaft, politische Konflikte mit Waffengewalt auszutragen, steigt wieder merkbar an. Und zu allem Unglück wird „Religion“ dabei keineswegs immer als friedensstiftend erlebt, sondern oft genug sogar als die Wurzel von Gewalt.

Mit dem Pflug das Feld beackern

Umso wichtiger ist die Rückbesinnung auf solche ganz alten Texte der Bibel. Sie zeugen davon, dass Gott selbst sich immer als ein Gott des Friedens verstanden hat. Er verhindert zwar nicht den Krieg. Er greift nicht aktiv ein, wenn wir Menschen in unserer Kurzsichtigkeit die Konfliktspirale immer höher und höher hinauf schrauben (im Kleinen genauso wie im Großen), aber er appelliert an unsere Einsicht. Und am Ende der Tage wird er die Völker zusammenrufen und sie „zurechtweisen“ – so die Vision des jüdischen Propheten Jesaja schon viele Jahrhunderte vor Christus.

„Zurechtweisen“ – auf den ersten Blick ein etwas harsches Wort. Dennoch ein sehr treffendes. Denn Gott muss hier tatsächlich etwas „zurechtrücken“ von unseren verqueren Vorstellungen: Als ob Krieg und Gewalt schon jemals irgendein Problem hätten lösen können! Als ob dauerhafter Friede statt ständigen Säbelrasselns nicht viel mehr der mühevollen Kleinarbeit von Diplomatie und Dialog bedürfte, der Erforschung von Ursachen und der Beseitigung von Missständen…

Das Bild von den umgeschmiedeten Pflugscharen malt ja nicht ein Schlaraffenland vor Augen, in dem den Menschen die gebratenen Tauben nur so in den Mund fliegen würden, sondern es weist auf das wichtigste Gerät für eine erfolgreiche Ernte hin: auf den Pflug. Mit anderen Worten: Friede will „beackert“ werden. Und zwar stetig.