Bibelessay zu Matthäus 15, 21 - 28

Das Evangelium dieses Sonntags ist sperrig, zunächst schwer verständlich und kann auch zu Missverständnissen führen. Es geht nicht um einen Wunderbericht, der hier geschildert wird, als solcher wäre er zu ungenau.

Die Heilung der Tochter einer kanaanäischen Frau wird fast nebenbei erwähnt und ereignet sich unterwegs. Das Eigentliche, das in diesem Abschnitt des Matthäusevangeliums gesagt werden will, ist viel komplexer, vielleicht aber auch einfacher, als Theologen und Bibelwissenschaftler es sehen können.

Pater Karl Schauer
ist Theologe und Bischofsvikar für die Bereiche Wallfahrtswesen, Tourismusseelsorge und Berufungspastoral in der katholischen Diözese Eisenstadt

Atemberaubender Durchbruch

Geschildert wird die Begegnung einer heidnischen Frau mit Jesus und seinen Jüngern, die aus der jüdischen Tradition kommen, und sie reden miteinander. Beides war eigentlich undenkbar: Die Begegnung zwischen Juden und Heiden und das Gespräch zwischen Frauen und Männern in der Öffentlichkeit. Die Szene spielt außerhalb des religiösen jüdischen Umfeldes, an der Grenze zu Syrien. Dorthin wollte Jesus sich mit seinen Jüngern zurückziehen. So eröffnet diese Begegnung an der Grenze eine Dimension, die andere Grenzen für immer sprengt.

Anfangs galten die Frauen und Männer um Jesus und die ersten Christen, die Anhänger des neuen Weges, als jüdische Sekte, örtlich beschränkt und in sich verschlossen. Die Messiaserwartungen in dieser Zeit waren vielfältig und die religiösen Gruppierungen und Propheten zahlreich.

Auf dem vielschichtigen historischen Hintergrund bedeutet diese Bibelstelle einen atemberaubenden Durchbruch. Jesus, der Sohn Davids, wird als der Ersehnte und Erwartete außerhalb der jüdisch geprägten Religiosität erkannt und sein Wirken, seine Botschaft geht über die Grenzen des Denkbaren.

Ringen mit Gott

Kirche aller Völker und Kulturen, Kirche aus der jüdischen und der vielfältig heidnischen Tradition, universale, weltumspannende Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben, sollte bald Wirklichkeit werden. Somit wird die Kirche, damals wie heute, immer auch eine missionarische sein müssen, eine, die nicht müde wird, die Botschaft des Evangeliums weiterzugeben und sie in das Leben der Menschen und der Welt hinein zu übersetzen, damit sie zu einer Botschaft der Hoffnung werden kann. Die Kirche ist kein Privatunternehmen, das seine Ideen und Interessen durchsetzt, wiewohl das im Laufe der Geschichte immer auch geschehen ist und missbräuchlich getan wurde. Nicht selten wurden westliche Denkmuster anderen Kulturen und Völkern übergestülpt, der missionarische Auftrag wurde fehlinterpretiert, es kam zu einer Verarmung der Frohen Botschaft und die innere Vielfalt der Kirche wurde zugedeckt.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 20.8.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Ohne sich der kritischen Zeitgenossenschaft auszusetzen, kann die Kirche den Auftrag, Gott zur Sprache zu bringen, auch heute nicht ausführen. Alle Geschichtsepochen sind gezeichnet von schrecklichen Tragödien, die es schwer machen, von Gott zu reden. Menschlich betrachtet endet auch das Leben Jesu mit der Tragödie des Kreuzes. Allerdings, das Ringen mit Gott, die leidenschaftliche Gottsuche bleiben mir nie erspart, wenn ich eingestehe, dass mir Gott nicht gleichgültig ist. Ein Event-Christentum, Massenversammlungen religiöser Enthusiasten, organisierte Begeisterung für Christus, das Ciao-Verbrüdern der einen und die verzückt verdrehten Augen und erhobenen Arme der anderen, können zwar kurze Momente eines kirchlichen Glücksgefühls sein, sie halten aber der alltäglichen Wirklichkeit nicht stand.

Wohlstandschristentum

Wie eine kalte Sommerdusche an heißen Tagen hat vor einigen Wochen die Veröffentlichung der aktuellen Studie über die religiöse Landschaft in Österreich gewirkt. Den stärksten Zuwachs verzeichneten demnach in den letzten 15 Jahren die Konfessionslosen. Das Abbröckeln des Christentums ist unübersehbar. Was heißt das für mich im Dienst der Verkündigung? Frust, Enttäuschung, Ermüdung oder sogar Angst? Oder müssten ich und meinesgleichen nicht schon längst abdanken?

Jedenfalls macht diese Herausforderung klar: Wohlstandschristentum mit einer Fülle von Wellnessangeboten reicht nicht aus. Glaube nur als Behübschung und Interpretation verschiedener Lebenssituationen ist weit entfernt von einer lebendigen Beziehung zu Gott. Glaube nur als Brauchtumspflege eines weihnachtlichen Familien- und eines österlichen Frühlingsfestes spricht nicht mehr von der Menschwerdung Gottes und von der Erlösung des Menschen im Kreuz und in der Auferstehung Jesu Christi.

Gotteskrise

Kirchliche Feiertage laden eher ein, Kurzurlaube zu planen, aber das Kirchliche an diesen Tagen, das eigentliche Fest ist meist vergessen. Ob Kreuze in den öffentlichen Räumen bleiben, die Bildstöcke, Säulen und Kapellen unsere Landschaften verschönern, die Kirchen mit den Türmen und Glocken wie ein Kompass für die meisten Zeitgenossen nicht wegzudenken sind, ist nicht die primäre Frage. Darauf werden auch in Zukunft die Menschen nicht so leicht verzichten.

Mehr als um eine Kirchenkrise geht es heute wahrscheinlich um eine Gotteskrise. Gott aber ist keine Freizeitbeschäftigung und kein Gesundheitsangebot, etwa in dem Sinn, als würden betende und glaubende Menschen ausgeglichener sein und länger leben, wie wiederum andere Studien sagen. Ich glaube ja nicht, um gesund zu sein, oder dass es mir gut geht. Ich glaube, dass Gott existiert und mein Leben, die Menschen um mich herum, diese atemlose Welt mit ihrer zerbrechlichen Zukunft, die großen Fragen, die die Geschichte insgesamt und mein eigenes Leben mir aufgeben, ohne ihn verstummen würden. „Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids!“ - wann habe ich so zuletzt geschrien?