Im Reich der unermesslichen wirkenden Kräfte

60 Jahre ist es her, dass am 25. August 1957 der große, immer wieder halb vergessene und mehrfach triumphal wiederentdeckte Erzähler Leo Perutz in Bad Ischl starb, wenig vor seinem 75. Geburtstag. Dort liegt er auch begraben.

Gedanken für den Tag 21.8.2017 zum Nachhören:

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In Prag 1882 geboren, Fabrikantensohn, Versicherungsmathematiker, wurde er zu einem Zentralgestirn des Wiener Kaffeehauses und erzielte mit seinen Romanen, oft als Zeitungsfortsetzungsgeschichten, riesige Auflagen. Um sein Leben spinnt sich eine Fülle von Anekdoten. Manche Titel seiner Bücher klingen vertraut, aber wer hat sie gelesen, diese vielen Geschichten und Romane in der Verwandtschaft eines Gustav Meyrink oder eines Paul Busson?

Reinhard Deutsch
ist Verleger

Raum, sich zu finden

Wenn ein Mensch aus der Welt fällt, hinterlässt er eine Lücke, und durch diese Lücke kann man in das Dahinter schauen, in den Riss in der Zeit, in der Logik, im Glauben. Die Figuren von Perutz überschreiten unvermittelt die Grenzen zwischen dem Wirklichen und dem Mystischen, dem Geträumten und dem Ersehnten.

Der Student Stanislaus Demba in „Zwischen neun und neun“ verwirrt Greißlerinnen, tritt zutrauliche Hunde, gibt sich als armloser Invalide aus, macht mit einem Mädchen Schluss, das schon längst nichts mehr von ihm wissen will. Er versucht Geld aufzutreiben, im Kampf gegen die Uhr, damit eine Frau mit ihm verreise und nicht mit dem Nebenbuhler, immer enger wird die Spirale des Tages, legt sich langsam als Würgeschlinge um seinen Hals, aus einem Amoklauf wird keine Erlösung wachsen. Immer mehr macht er sich zum Narren, reißt an den Fäden seines Lebens, stürzt in den Abgrund. Perutz gelingt eine glänzende Studie eines Verzweifelnden, eines Menschen, dem es nicht gelingt, die Phänomene der Welt in ihrer wahren Dimension zu begreifen, wenn er Innen- und Außenwelt zur Deckung bringt.

Leo Perutz war ein gewiefter Erzähler. Doch in seiner routiniertesten Geschichte noch steckt die Besonderheit, die Überraschung, das Heraushebende. Er interessiert sich für seine Figuren und ihre Spiritualität, er gibt ihnen den Raum, zu sich zu finden und zu ihrem Gott.

Buchhinweise:

  • Leo Perutz, „Zwischen neun und neun“, Paul Zsolnay Verlag
  • Hans-Harald Müller, „Leo Perutz. Biographie“, Verlag Paul Zsolnay

Musik:

Agnes Postec und Romano Pallottini: „Walzer für zwei Klaviere Nr. 3 in h-moll“ von Johannes Brahms
Label: Pierre Verany PV 730116