Heroisches Leben

Ich bin in Bayreuth aufgewachsen, einer überschaubaren, lebenswerten fränkisch-protestantischen Residenzstadt. Doch Bayreuth hat eine Kehrseite: Es war ganz besonders begeistert vom Nationalsozialismus. Bayreuth war eine der Lieblingsstädte Hitlers.

Gedanken für den Tag 5.9.2017 zum Nachhören:

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Hitler bediente viele Sehnsüchte, die nach Gemeinschaft und Komplexitätsreduktion etwa, vor allem aber bediente er die Sehnsucht nach einem heroischen Leben jenseits der mühseligen Alltäglichkeit, nach einem Leben der Ehre und des Mutes, der Öffentlichkeit und der spektakulären Tat. Vom Georgikreis bis Ernst Jünger, von der Jungendbewegung bis zur militaristischen Freikorpsszene der Zwischenkriegszeit, das Ressentiment gegen die Masse, gegen die Verflachung, gegen den Alltag war gerade unter den Eliten damals weit verbreitet und nicht nur bei ihnen.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe und lehrt an der Karl Franzens Universität Graz

Heroismus und Demut

Man wollte einer spießig-selbstgefälligen Alltäglichkeit voller Regeln und kleinbürgerlicher Normen, voller kleiner und kleinster Freuden und großer Ängste und grauer Tristesse entkommen. Irgendwie ist das sogar verständlich. Die Flucht aus dem Alltag ins Heroische verspricht Selbst- und Fremdachtung und vor allem Distinktionsgewinn. Aber sie entsolidarisiert von den vielen Menschen außerhalb meiner selbst mit ihren alltäglichen Leben, sie werden verachtet.

Die heroische Flucht aus dem Alltag funktioniert nicht. Als politisches Konzept führt sie sogar in die Katastrophe. Der Heroismus als Existenzkonzept, nicht als Antwort auf unabweisbare Herausforderungen, will den Alltag überspringen, er will sich fühlen. Auf diese Art des Heroismus verzichten heißt in der geistlichen Tradition Demut.

Musik:

I Musici: „Allegro - 3. Satz“ aus: Concerto für 2 Violinen, Streicher und B.c. in A-Dur op. 3 Nr. 5 RV 519 von Antonio Vivaldi
Label: Philips 4121292