Befreiungspathos der Moderne

In dem, was man so die späte Moderne nennt, wird auch der Alltag beweglich, offen, flüssig. Zwar ist nicht ständig alles im Fluss, aber alles kann ins Fließen kommen. Es kann sich jederzeit viel, wenn nicht alles, ändern, so sehr, dass etwa der englische Soziologe Zygmunt Bauman von einer „liquid modernity“ spricht.

Gedanken für den Tag 7.9.2017 zum Nachhören:

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Den einen macht das Angst unterzugehen, die anderen surfen auf den Wellen der Freiheit und des Erfolgs. Das Befreiungspathos der Moderne versprach aus den traditionellen Bindungen zu erlösen, die den Alltag so lange unentrinnbar bestimmten: den Bindungen der Geschlechterrolle, des Herkunftsmilieus und der Herkunftsfamilie, der sozialen Schicht oder der Religion.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe und lehrt an der Karl Franzens Universität Graz

Alltag als Hamsterrad

Die moderne Gesellschaft hat viele dieser Versprechen gehalten, sie wäre sonst nicht so attraktiv. Freilich, diese neue Freiheit kostet auch etwas. Sie ist mit den Anrufungen eines wettbewerbsorientierten und optimierungssüchtigen Kapitalismus erkauft, der alle immer und überall drängt, sich zu perfektionieren, gerade auch im Alltag.

Das Äußere, das man in ihm präsentiert, das Zeitmanagement, mit dem man ihn bewältigt, die Leistung, die man in ihm zu erbringen hat. Und so wird der Alltag zum Hamsterrad der professionellen, ökonomischen, ästhetischen und schließlich auch emotionalen Optimierung, wovon, paradoxer Weise, eine ganze Branche von professionellen Alltagsentschleunigungsoptimierern lebt.

Musik:

I Musici: „Allegro - 1. Satz“ aus: Concerto für 4 Violinen und Violoncello in h-moll op. 3 Nr. 10 RV 580 von Antonio Vivaldi
Label: Philips 4121302