Aufmerksamkeit im Alltag

Aus dem Paradox des Alltags, zugleich Trost der Sicherheit und Ahnung der Endlichkeit zu sein, führt nur ein Weg hinaus: der Weg mitten in den Alltag hinein. Man darf sich nicht einfach mit dem Alltag versöhnen, er kann aber auch nicht durch Flucht verlassen werden, aber er kann reich werden durch Entdeckung.

Gedanken für den Tag 8.9.2017 zum Nachhören:

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Die Gewöhnlichkeit und Durchschnittlichkeit des Alltags sind eine Not, aber zugleich ein Segen. Der Weg, diesen Segen zu spüren und zu erhalten, ist die Aufmerksamkeit, die liebende Aufmerksamkeit. Das ist die Fähigkeit, sich den gewöhnlichen Umständen des Lebens so zuzuwenden, als ob in ihnen das ganze Leben versteckt sei, weil in ihnen das ganze Leben steckt.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe und lehrt an der Karl Franzens Universität Graz

Liebe zum Gewöhnlichen

Man muss die Gewöhnlichkeit des Alltags ebenso betonen, wie seine Außergewöhnlichkeit. Es ist außergewöhnlich, das Gewöhnliche zu bejahen, dessen Routine innerlich zu tragen und gerade darin das Eigene, Individuelle nicht unterzuordnen, sondern aufzuspüren bei sich und bei anderen. Die Liebe zum Gewöhnlichen ist keine gewöhnliche Liebe, sie ist eine außergewöhnliche Tat, sie braucht vor allem eines: liebende Aufmerksamkeit.

„Denn die Unglücklichen bedürfen keines anderen Dinges auf dieser Welt, als solcher Menschen, die fähig sind, ihnen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.“ So hat das Simone Weil formuliert. Vielleicht braucht man ja den Gottesbegriff vor allem, damit genau das möglich ist: ganz da zu sein und doch nicht aufzugehen in dem, was einen umgibt.

Musik:

Klaus Thunemann/Fagott und I Musici: „Allegro - 3. Satz“ aus: Konzert für Fagott, Streicher und Continuo in B-Dur RV 503 von Antonio Vivaldi
Label: Philips 4163552